Entscheidungsstichwort (Thema)

Konkludenter Prozesskostenhilfeantrag bei Einreichung der Einkommenserklärung nach Erhebung der Widerklage

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Auch im Prozesskostenhilfeverfahren ist eine konkludente Antragstellung möglich; Anträge auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe im Sinne von § 117 Abs. 1 Satz 1 ZPO sind Prozesshandlungen, die (wie private Willenserklärungen) einer Auslegung zugänglich sind.

2. Bei der Auslegung von Prozesshandlungen ist im arbeitsgerichtlichen Verfahren auch im Falle einer anwaltlicher Vertretung ein großzügiger Maßstab anzulegen.

3. Ein Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe betrifft die Klage und die Verteidigung gegen die Widerklage, wenn die Überlassung der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nach Erhebung der Widerklage erfolgt; auch in den Fällen, in welchen sich erst nach einer ausdrücklichen oder konkludenten Antragstellung Änderungen hinsichtlich des Streitgegenstandes durch Klageerweiterungen oder Widerklagen ergeben, ist ganz regelmäßig davon auszugehen, dass der Prozesskostenhilfeantrag auch für diese gilt.

4. Es ist kein Grund ersichtlich, warum eine Partei lediglich hinsichtlich eines Teils der Streitgegenstände einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe begehren sollte; denkbar ist dies allenfalls in solchen Situationen, in denen etwa eine Rechtschutzversicherung für einzelne Streitgegenstände eintritt, was jedoch den Ausnahmefall darstellt.

5. Wird der Bewilligungsbeschluss durch das Gericht erst nach erfolgten Klageerweiterungen oder Widerklagen erlassen, umfasst er alle zu diesem Zeitpunkt anhängigen Streitgegenstände.

 

Normenkette

ArbG § 11a Abs. 3; ZPO § 114 S. 1, § 117 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1

 

Verfahrensgang

ArbG München (Entscheidung vom 17.07.2012; Aktenzeichen 34 Ca 14225/11)

 

Tenor

1.) Auf die sofortige Beschwerde des Klägers vom 25.07.2012 wird der Beschluss des Arbeitsgerichts München vom 17.07.2012 - 34 Ca 14225/11 - teilweise abgeändert wie folgt:

Dem Kläger wird für die Klageanträge zu 1.) und zu 2.) sowie für die Verteidigung gegen die Widerklage Prozesskostenhilfe bewilligt und Herr Rechtsanwalt N. beigeordnet.

Raten werden nicht festgesetzt.

2.) Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

3.) Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I.

Mit Schriftsatz vom 08.12.2011 erhob der Kläger Kündigungsschutzklage gegen zwei Kündigungen vom 25.11. und 01.12.2011. Gleichzeitig begehrte er Erteilung eines qualifizierten Zwischenzeugnisses. Mit Schriftsatz vom 09.02.2012 erhob die Beklagte Widerklage auf Zahlung von € 15.493,80 (Schadensersatz aus behaupteter Unterschlagung/behauptetem Diebstahl von Leergut).

Eingehend am 08.03.2012 übersandte der Kläger eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst Anlagen (vgl. Bl. 74 - 86 d. A.). Im Feld "Geschäftsnummer des Gerichts" wurde im Vordruck das Aktenzeichen des erstinstanzlichen Verfahrens (34 Ca 14225/11) angegeben.

Unter dem Datum 12.03.2012 wies das Arbeitsgericht den Prozessbevollmächtigten des Klägers darauf hin, dass ein Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung bisher nicht ausdrücklich gestellt worden sei (vgl. Bl. 87 d. A.). Eine Reaktion hierauf erfolgte nicht. Auch aus der Niederschrift über die öffentliche Sitzung vom 25.04.2012 ergibt sich nicht, dass diesbezüglich eine Klarstellung erfolgt ist. Am 17.07.2012 erließ das Arbeitsgericht folgenden Beschluss (vgl. Bl. 181 - 182 d. A.):

Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und die Beiordnung eines Rechtsanwalts wird zurückgewiesen.

Das Arbeitsgericht begründet seine Entscheidung damit, dass ein bestimmter PKH-Antrag zu keinem Zeitpunkt gestellt worden sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die "Beschwerde" der Klägerseite vom 25.07.2012.

Am 04.02.2013 erging durch das Arbeitsgericht Nichtabhilfebeschluss (Bl. 203 d. A.). Im Rahmen der Begründung stellte der Kläger ausdrücklich Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Rechtsanwalts N.

II.

1.) Die sofortige Beschwerde gegen den Prozesskostenhilfebeschluss vom 17.07.2012 ist gemäß §§ 127 Abs. 2 S. 2 und 3, 569 ZPO, 11 a Abs. 3, 46 Abs. 2 S. 3 ArbGG zulässig.

2.) Die sofortige Beschwerde hat in der Sache teilweise Erfolg. Dem Kläger war vorliegend für die Klageanträge zu 1.) und zu 2.) aus der Klageschrift vom 08.12.2011 sowie für die Verteidigung gegen die Widerklage Prozesskostenhilfe zu bewilligen.

a) Die Gewährung von Prozesskostenhilfe scheitert nicht am Fehlen eines Antrags.

Nach §§ 11 a Abs. 3 ArbGG, 114 S. 1, 117 Abs. 1 S. 1 ZPO ist Voraussetzung für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe die Stellung eines gesonderten PKHAntrags.

Insofern rügt die Beschwerde zu Recht, dass im Ergebnis auch das Arbeitsgericht von einer Antragstellung ausgegangen sein muss. Ohne Antrag hätte es auch keine Notwendigkeit gegeben, über die Frage der Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu entscheiden.

Der Kläger hat vorliegend jedenfalls durch Einreichung der Erklärung über die persönlichen und...

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