Entscheidungsstichwort (Thema)
Klageerweiterung in der Berufungsinstanz. Feststellungsinteresse bezüglich des Ersatzes zukünftiger Schäden. Klage auf Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte. Anspruch auf Schadensersatz wegen "Mobbings"
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine Klageerweiterung ist als Klageänderung i.S.d. § 533 Nr. 1 ZPO nur zulässig, wenn der Gegner einwilligt oder das Gericht die Klageänderung für sachdienlich hält. Maßgebend für die Beurteilung der Sachdienlichkeit ist neben einer Abwägung der beiderseitigen Interessen in erster Linie der Gesichtspunkt der Prozesswirtschaftlichkeit.
2. Wird Klage auf Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz zukünftiger materieller oder immaterieller Schäden erhoben, die auf der Verletzung eines absoluten Rechtsguts wie der Gesundheit resultieren, liegt ein Feststellungsinteresse vor, wenn die zukünftige Schadensfolge möglich, ihre Art und ihr Umfang, sogar ihr Eintritt aber noch ungewiss sind.
3. Der Arbeitnehmer kann die Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte dann verlangen, wenn die Abmahnung formell nicht ordnungsgemäß zustande gekommen ist, sie unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält, auf einer unrichtigen rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Arbeitnehmers beruht, nur pauschale Vorwürfe enthält, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt oder ein schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers am Verbleib der Abmahnung in der Personalakte nicht besteht.
4. Ein Anspruch auf Schadensersatz wegen "Mobbings" kann als vertraglicher oder als deliktischer Anspruch gegeben sein. Voraussetzung ist, dass der Arbeitgeber eine Pflicht aus dem Arbeitsverhältnis verletzt hat. Nach § 241 Abs. 2 BGB erwachsen jeder Vertragspartei aus einem Schuldverhältnis nicht nur Leistungs-, sondern auch Verhaltenspflichten zur Rücksichtnahme und zum Schutz der Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Vertragspartners. Setzt der Arbeitgeber den Arbeitnehmer einem Klima aus, das bewirkt oder bewirken soll, dass seine Würde verletzt oder ein von Anfeindungen, Erniedrigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird, kann "Mobbing" vorliegen.
Normenkette
BGB § 241 Abs. 2, §§ 253, 278 Abs. 1, § 823 Abs. 1, § 831; GG Art. 1, 2 Abs. 1; ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2, § 256 Abs. 1, § 533 Nrn. 1-2; BGB §§ 242, 1004
Verfahrensgang
ArbG München (Entscheidung vom 21.08.2017; Aktenzeichen 29 Ca 3664/15) |
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 21.08.2017 - 29 Ca 3664/15 - teilweise hinsichtlich des Antrags zu 2 unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen abgeändert und wie folgt gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, die Abmahnungen vom 27.10.2014 und 24.11.2014 aus der Personalakte des Klägers zu entfernen.
II. Die erstinstanzlichen Kosten haben der Kläger zu 17/100 und die Beklagte zu 83/100 zu tragen. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger zu 23/100 und die Beklagte zu 77/100.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten zuletzt noch über Ansprüche des Klägers auf Entfernung von Abmahnungen aus seiner Personalakte, auf Schadensersatz wegen behaupteter Persönlichkeits- und Gesundheitsverletzungen durch Mobbinghandlungen insbesondere seines unmittelbaren Vorgesetzten, auf Schadensersatz wegen einer unwirksamen Kündigung sowie über Annahmeverzugsvergütungsansprüche für das Jahr 2016.
Der Kläger ist bei der Beklagten, die eine bundesweit tätige Wirtschaftsprüfungsgesellschaft betreibt, aufgrund des Arbeitsvertrages vom 29.10.2012 i. d. F. des Nachtrags vom 05.11.2012 seit dem 15.11.2012 als Rechtsanwalt in der Service Line Tax im Grade eines Consultants in der Niederlassung A-Stadt mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden und einem Bruttomonatsgehalt von 3.540,00 € beschäftigt (vgl. Anlagen B1 und B2, Bl. 429 ff. d. A.). In Ziffer 1 Nr. 2 des Arbeitsvertrages behielt sich die Beklagte das Recht vor, den Kläger im Bedarfsfall auch an einem anderen Arbeitsort entsprechend seiner Vorbildung und seinen Fähigkeiten für gleichwertige Tätigkeiten einzusetzen, wobei sie die persönlichen Belange des Klägers angemessen berücksichtigen würde.
Die Beklagte war zunächst mit den Leistungen und dem Engagement des Klägers zufrieden. Zum 14.05.2013 wurde die Gesamtbeurteilung der Leistung des Klägers mit der Note "B1" beurteilt; die Notenskala reichte von A1, A2, B1, B2 bis C (vgl. Bl. 64 f. d. A.). Eine vergleichbare Bewertung erfolgte durch die Beurteilung am 31.07.2013 in Bezug auf den Entwicklungsstand "Einstieg". Darüber hinaus wurde festgehalten, dass die Karriereperspektiven des Klägers als gut einzustufen seien (Bl. 66 ff. d. A.). Ab dem 01.07.2013 wurde der Kläger in verschiedenen Projekten eingesetzt. Die Projektleiter beurteilten den Kläger mit der Note "C", u. a., weil die Arbeitsergebnisse nicht die geforderte Qualität erreichen würden und meistens nachgearbeitet werden müssten. Wegen der sog. Proje...