Entscheidungsstichwort (Thema)
Außerordentliche Kündigung
Leitsatz (amtlich)
Einzelfallentscheidung zum Vorliegen eines wichtigen Grunds bei vom Arbeitnehmer angekündigter Erkrankung. Ist der Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Ankündigung nicht erkrankt, handelt es sich zwar um eine Pflichtverletzung, die geeignet ist, einen wichtigen Grund zu begründen. Im hier entschiedenen Fall ergab jedoch die an den besonderen Umständen des Einzelfalls orientierte Interessenabwägung, dass die Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht beendet hat.
Normenkette
BGB § 626; BAT § 54
Verfahrensgang
ArbG München (Urteil vom 04.04.2006; Aktenzeichen 30 Ca 9034/05) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 04. April 2006, Az.: 30 Ca 9034/05, wird das bezeichnete Endurteil wie folgt abgeändert:
- Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die Kündigung vom 01. Juni 2005 noch durch die Kündigung vom 07. Juni 2005 aufgelöst worden ist.
- Die Beklagten tragen die Kosten des Rechtsstreits.
- Der Streitwert wird auf 15.604,53 EUR festgesetzt.
II. Die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der Kosten des Revisionsverfahrens werden den Beklagten auferlegt.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen fristlosen Arbeitgeberkündigung vom 07. Juni 2005.
Der 1955 geborene Kläger war seit dem 01. September 1974 zunächst bei der B. Versi. beschäftigt. Nach einer 1995 erfolgten Ausgliederung von Geschäftsbereichen, die den Versorgungsbereich betrafen, bestand das Arbeitsverhältnis zuletzt mit den zwölf Beklagten fort. Bei diesen handelt es sich um berufständische und kommunale Altersversorgungseinrichtungen, deren gemeinschaftliches Geschäftsführungs- und Verwaltungsorgan die B. ist. Die B. ist eine dem Bayerischen Staatsministerium des Inneren unmittelbar nachgeordnete staatliche Oberbehörde.
Der Kläger war zuletzt in dem bei der B. angesiedelten, zentralen Organisationsbereich Kapitalanlagen als Sachgebietsleiter Rechnungswesen (Immobilien und Wertpapiere) gegen ein monatliches Bruttogehalt von EUR 0,00 beschäftigt. Dort war er insbesondere zuständig für die Erstellung der Immobilienabschlüsse, die in die Jahresabschlüsse (Bilanz sowie Gewinn- und Verlustrechnung) der getrennt bilanzierenden Beklagten einfließen.
Auf das Arbeitsverhältnis fand im hier maßgeblichen Zeitraum kraft einzelvertraglicher Inbezugnahme der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) Anwendung.
Im Frühjahr 2005 kam es bei der Erstellung der Jahresabschlüsse zu erheblichen Verzögerungen. Am 24. Mai 2005 beantragte der Kläger schriftlich die Gewährung von Erholungsurlaub für Freitag, den 27. Mai 2005. Der 26. Mai 2005 war in Bayern gesetzlicher Feiertag (Fronleichnam). Der Vorgesetzte des Klägers lehnte am Vormittag des 25. Mai 2005 den Urlaubsantrag mit der Begründung ab, die – unstreitig noch nicht beendeten – Jahresabschlussarbeiten duldeten keinen weiteren Aufschub. Zwischen den Parteien ist streitig, ob der Kläger im Verlaufe des Gesprächs eine Erkrankung „angedroht” hat. Noch am 25. Mai 2005 suchte der Kläger einen Arzt auf und legte gegen 13.00 Uhr eine ihm ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Zeit vom 25. Mai 2005 bis einschließlich 03. Juni 2005 vor. Anschließend begab er sich nach Hause. Am 27. Mai 2005 erschien er nicht zur Arbeit.
Nach der einer ersten fristlosen Kündigung vom 01. Juni 2005, die der Kläger gemäß § 174 BGB zurückgewiesen hat, kündigten die Beklagten das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 07. Juni 2005 erneut außerordentlich fristlos. Der mit Schreiben vom 31. Mai 2005 zur ersten Kündigung und mit Schreiben vom 07. Juni 2005 erneut zur zweiten Kündigung angehörte Personalrat hatte auf die erste Anhörung am 01. Juni 2005 schriftlich mitgeteilt, keine Bedenken gegen die Kündigung zu haben. Am 07. Juni 2005 vermerkte der Personalratsvorsitzende handschriftlich auf der Stellungnahme vom 01. Juni 2005, dieser Beschluss behalte auch nach neuen Erkenntnissen der Personalvertretung Bestand.
Mit seiner beim Arbeitsgericht München am 21.6.2005 eingegangenen Klage vom 20.6.2005 hat der Kläger die gerichtliche Feststellung begehrt, dass sein Arbeitsverhältnis weder durch die Kündigung vom 1. Juni 2005 noch durch die Kündigung vom 7.6.2005 aufgelöst worden ist.
Zur Begründung hat er ausgeführt, die Kündigung vom 1.6.2005 sei bereits gemäß § 174 BGB unwirksam, weil eine Originalvollmacht nicht vorgelegen habe und die Kündigung deswegen unverzüglich zurückgewiesen worden sei.
Zur Begründung seines Kündigungsschutzantrags betreffend die Kündigung vom 07. Juni 2005 hat der Kläger geltend gemacht, es fehle an einem wichtigen Grund zur Kündigung. Er habe entgegen der Behauptung der Beklagten im Gespräch mit seinem Vorgesetzten nicht versucht, den Urlaub durch „Androhung” einer Erkrankung zu erzwingen. Er habe lediglich erklärt, was denn wäre, „wenn er etwas geplant hätte und seine Frau zu Hause schon die Sachen einräumen würde ode...