Entscheidungsstichwort (Thema)
Außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist. schwerbehindertes Ersatzmitglied des Betriebsrats. Besonderer Kündigungsschutz. Schwerbehinderung. Ersatzmitglied des Betriebsrats
Leitsatz (amtlich)
Das Zusammentreffen verschiedener besonderer Kündigungsschutzregelungen ist ein vom Arbeitgeber hinzunehmendes arbeitsrechtliches Phänomen und führt nicht dazu, dass einer der Zusammentreffenden Schutzkomplexe unanwendbar wird (hier: Ausspruch einer krankheitsbedingten außerordentlichen Kündigung gegenüber einem schwerbehinderten Ersatzmitglied des Betriebsrats, das rund ein halbes Jahr vor der Kündigung an einer Betriebsratssitzung teilgenommen hatte, ohne Zustimmung des Integrationsamts, sowie einer ordentlichen Kündigung vom selben Tage mit Zustimmung des Integrationsamts, aber ohne vorherige Beteiligung des Betriebsrats, der sich im Rahmen der Anhörung zur außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist nicht geäußert hatte)
Normenkette
BGB § 626; KSchG §§ 1, 15; BetrVG §§ 25, 102; SGB IX §§ 85, 91; BGB § 134
Tenor
1.Die Berufung der Beklagten und die Anschlussberufung des Klägers werden zurückgewiesen.
2.Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger zu ¼ und der Beklagten zu ¾ auferlegt.
3.Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Rechtswirksamkeit einer mit sozialer Auslauffrist ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung, um die Rechtswirksamkeit einer am selben Tag ausgesprochenen ordentlichen Kündigung sowie um einen – hilfsweise gestellten – Anspruch auf Weiterbeschäftigung zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen.
Der Kläger ist auf der Grundlage eines Arbeitsvertrages vom 19.02.1997 seit 15.03.1997 als Haustechniker beschäftigt zu einem monatlichen Bruttogehalt von zuletzt 2.800,00 EUR.
Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 13.02.2004 außerordentlichen mit einer Auslauffrist zum 30.04.2004. Mit einem weiteren Schreiben vom 13.02.2004 kündigte sie das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 30.04.2004. Der Kläger war im Zeitpunkt dieser Kündigungen einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt gemäß § 3 Abs. 3 SGB IX. Mit Anwaltsschreiben vom 24.07.2003 hatte die Beklagte die Zustimmung des Integrationsamts zu einer beabsichtigten ordentlichen Kündigung des Klägers beantragt. Das Integrationsamt erteilte die beantragte Zustimmung zur ordentlichen Kündigung mit Bescheid vom 29.01.2004, gegen den der Kläger Widerspruch eingelegt hat. Der Kläger war im Zeitpunkt der Kündigungen Ersatzmitglied des Betriebsrats und nahm am 18.09.2003 an einer Betriebsratssitzung teil. Die Beklagte hatte den Betriebsrat vor den Kündigungen mit Schreiben vom 09.02.2004 lediglich zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung mit Auslauffrist zum 30.04.2004 angehört.
Die Beklagte stützt die Kündigungen auf die seit Juli 2001 ununterbrochen bestehende Arbeitsunfähigkeit des Klägers, die durch einen Arbeitsunfall verursacht wurde. Der Kläger hatte sich beim Entleeren einer schweren Mülltonne an der linken Schulter verletzt. Nach einem vom Facharzt für Orthopädie Dr. Z. für das Integrationsamt erstatteten Gutachten vom 07.06.2005 kann der Kläger eine dem Profil eines Haustechnikers entsprechende Tätigkeit nur unter erheblichen Einschränkungen vollschichtig ausüben. Unter anderem seien schweres Heben und Tragen von Gegenständen mit einem Gewicht von mehr als 8 kg regelhaft während eines Arbeitszyklus ausgeschlossen. Arbeiten Überkopf mit angehobenen Armen in Höhe der oder über der Horizontalen, mit einseitigem Einsatz beider Arme, Arbeiten in Zwangshaltungen sowie Arbeiten auf Leitern, Treppen oder Gerüsten, Arbeiten in Nässe, Kälte oder Zugluft seien nicht zuzumuten. Ein ausgeglichener Wechsel an sitzender, gehender und stehender Tätigkeit sei vorauszusetzen, bei dem der eingeschränkten Sitzfähigkeit Rechnung getragen werde. Durchgeführt werden könnten z.B. Kontrolltätigkeiten unter den genannten Einschränkungen oder aufsichtsführende Tätigkeiten.
Der Kläger ist der Auffassung, ein ausreichender Grund für die außerordentliche Kündigung sei nicht gegeben. Hinsichtlich der ordentlichen Kündigung könne sich der Kläger auf den Schutz des § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG berufen. Diesen Schutz habe der Kläger nicht manipulativ herbeigeführt. Der Kläger habe an der Betriebsratssitzung vom 18.09.2003 zu Recht teilgenommen, weil er zwar arbeits-, aber nicht amtsunfähig gewesen sei. Der Kläger meint, er könne seine vertraglich geschuldete Tätigkeit weiterhin ausüben, weil diese überwiegend überwachend und kontrollierend sei.
Die Beklagte ist dagegen der Auffassung, ein wichtiger Grund für die außerordentliche Kündigung sei gegeben. Der Kläger habe seine Position als schwerbehinderter Mensch und als Betriebsrat ausgenützt. Die Berufung auf den Kündigungsschutz wegen seiner Betriebsratstätigkeit sei rechtsmissbräuchlich. Auch hätte der Kläger als Ersatzmitglied aufgrund seiner Dauerarbeitsunfähigkeit an der Betriebsratssitzung nicht teilnehmen dürfen...