Entscheidungsstichwort (Thema)
Fristlose Kündigung wegen Treuepflichtverletzung
Leitsatz (amtlich)
Es kann dahingestellt bleiben, ob ein Arbeitnehmer eine Treuepflichtverletzung begeht, wenn er über einen Zeitraum von mehr als 2 Jahren ohne Arbeitsleistung Arbeitsentgelt bezieht und Geschäftsführung nicht darüber informiert, dass er trotz mehrmaligen Angebot der Arbeitsleistung an den Personalleiter unter Fortzahlung der Vergütung nicht beschäftigt wird. Selbst wenn hierin eine Pflichtverletzung liegt, so ist vor Ausspruch einer Kündigung eine Abmahnung erforderlich.
Normenkette
BGB § 626
Verfahrensgang
ArbG Passau (Teilurteil vom 13.10.2005; Aktenzeichen 1 Ca 522/05) |
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird dasTeilurteil des Arbeitsgerichtes Passau vom13.10.2005 – 1 Ca 522/05 – abgeändert:
- Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 07.04.2005 nicht aufgelöst wurde.
- Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien auch durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 19.05.2005 nicht aufgelöst wurde.
- Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen weiterzubeschäftigen.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer außerordentlichen fristlosen und einer vorsorglichen ordentlichen Kündigung, über die vorläufige Weiterbeschäftigung des Klägers, über Vergütungsansprüche des Klägers und über Schadensersatzansprüche der Beklagten und Widerklägerin.
Die Beklagte ist ein Bauunternehmen mit ca. 300 Mitarbeitern. In ihrem Betrieb in P. besteht ein Betriebsrat. Der Kläger, geboren 1949, verheiratet, ist seit 01.09.1987 – mit saisonalen Unterbrechungen – bei der Beklagten beschäftigt gewesen, zuletzt ab 22.03.1999 als Vorarbeiter (Polier) mit einer Vergütung in Höhe von EUR 15,55 brutto je Stunde und etwa EUR 2.519,– brutto monatlich.
Seit 24.05.2000 ist der Kläger als Schwerbehinderter mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 50 anerkannt.
Er hat zuletzt im Jahre 2001 für die Beklagte Arbeitsleistungen erbracht. Zu Beginn des Jahres 2002 bezog er zunächst Schlechtwettergeld, hatte Urlaub oder war arbeitsunfähig krank. Ab Mai 2002 bis einschließlich Januar 2005 erhielt der Kläger monatliche Lohnabrechnungen und Vergütungszahlungen, ohne eine Arbeitsleistung erbracht zu haben. Die näheren Umstände hierzu sind zwischen den Parteien streitig. Ab Februar 2005 hat der Kläger keine Vergütung mehr von der Beklagten erhalten.
Mit Schreiben vom 21.02.2005 (Bl. 14 d. A.) hat die Beklagte den Kläger gebeten, zur Klärung, ob noch ein reguläres Arbeitsverhältnis bestehe, in das Lohnbüro zu kommen. Nach diesem Gespräch am 23.02.2005 fand dann am 09.03.2005 – unter Beteiligung der Prozessbevollmächtigten der Parteien – ein weiteres Gespräch statt.
Mit Schreiben vom 17.03.2005 (Bl. 73 bis 76 d. A.) fasste die Beklagte aus ihrer Sicht aufgrund der gemeinsamen Besprechung vom 09.03.2005 den Sachverhalt zusammen und teilte dem Kläger mit, dass beabsichtigt sei, sowohl eine Tat- als auch eine Verdachtskündigung nach Anhörung des Betriebsrates sowie nach Einholung und Zustimmung des Integrationsamtes auszusprechen. Ferner wurde in diesem Schreiben dem Kläger die Möglichkeit eingeräumt, bis Freitag, den 18.03.2005, 12.00 Uhr schriftlich eine Stellungnahme abzugeben.
Die Prozessbevollmächtigten der Beklagten haben mit Schriftsatz vom 22.03.2005 (Bl. 77 bis 80 d. A.) bei der Regierung von Niederbayern – Integrationsamt – die Zustimmung zur außerordentlichen fristlosen sowie vorsorglich ordentlichen Kündigung gegenüber dem Kläger beantragt.
Das Integrationsamt hat den Prozessbevollmächtigten beider Parteien jeweils mit Schreiben vom 06.04.2005 (Bl. 81 und 82 bzw. Bl. 83 bis 86 d. A.) bestätigt, dass die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung nach § 91 Abs. 3 SGB IX als erteilt gilt. Mit Bescheid vom 28.04.2005 (Bl. 87 bis 93 d. A.) erteilte das Integrationsamt auch die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung.
Die Beklagte hat mit Schreiben vom 07.04.2005 (Bl. 12 und 13 d. A.), das dem Kläger am selben Tag zugegangen ist, das Arbeitsverhältnis fristlos mit sofortiger Wirkung gekündigt.
Gegen diese Kündigung hat der Kläger am 25.04.2005 Klage beim Arbeitsgericht Passau erhoben.
Mit Schreiben vom 19.05.2005, das dem Kläger am selben Tag zugegangen ist, hat die Beklagte „rein vorsorglich das Beschäftigungsverhältnis unter Einhaltung der tarifvertraglichen Bestimmungen nach dem Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe zum 30.11.2005” gekündigt.
Gegen diese Kündigung hat der Kläger am 08.06.2005 ebenfalls Klage zum Arbeitsgericht Passau erhoben.
Der Kläger hält beide Kündigungen für rechtsunwirksam und vertritt den Standpunkt, dass er keine Vertragsverletzungen begangen habe. In de...