nicht rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Beweiswert ärztlicher Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen
Leitsatz (amtlich)
1. Ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen haben grundsätzlich die Vermutung der Richtigkeit für sich.
2. Formularmäßige ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen enthalten allerdings regelmäßig lediglich die Aussage, daß der behandelnde Arzt der Überzeugung war, der Arbeitnehmer sei aus gesundheitlichen Gründen außerstande gewesen, seine Arbeitspflicht zu erfüllen; sie enthalten dagegen regelmäßig keine Angaben, welche tatsächliche Feststellungen hinsichtlich Art. und Ausmaß der Beeinträchtigung und deren angenommenen Folgen der ärztlichen Überzeugung zugrunde liegen. Dies rechtfertigt es aber nicht, dem ärztlichen Attest jeglichen Beweiswert abzusprechen.
3. Ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen kommt ein über den Beweiswert einer Privaturkunde hinausgehender Überzeugungswert zu. Wie den Aussagen auch sachkundiger Zeugen ist ihnen jedoch angesichts der allgemeinen menschlichen Unzulänglichkeit mit einer gesunden Skepsis zu begegnen.
4. Bedenken gegen den Überzeugungswert können durch insbesondere aufgrund von Begleitumständen der Erkrankung begründet sein. Will der Arbeitgeber den Beweis einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in Zweifel ziehen, muß er die konkreten Umstände fallbezogen vortragen.
Verfahrensgang
ArbG Augsburg (Urteil vom 11.04.1990; Aktenzeichen 2 Ca 2604/89) |
ArbG München (Urteil vom 07.04.1988; Aktenzeichen 11 Ca 2548/88) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Augsburg – AZ: 2 Ca 2604/89 – vom 11. April 1990 wird auf Kosten der Rechtsmittelführerin zurückgewiesen.
Tatbestand
Der Rechtsstreit soll klären, ob die Klägerin Anspruch auf Bezahlung von DM 1.500,– brutto als Lohnausfallvergütung für die Zeit behaupteter und ärztlich bescheinigter Arbeitsunfähigkeit hat.
Von der Darstellung des Tatbestands im einzelnen wird abgesehen und insoweit auf die tatsächlichen Feststellungen im Urteil des Arbeitsgerichts verwiesen. Dieses hat der Klage unter Aufhebung eines zunächst klageabweisenden Versäumnisurteils stattgegeben.
Wegen der vom Erstgericht für sein Erkenntnis angeführten rechtlichen Erwägungen und hinsichtlich der sonstigen Einzelheiten der Vorentscheidung wird auf das Urteil des Arbeitsgerichts Bezug genommen.
Mit ihrer Berufung verfolgt die Beklagte ihr Begehren weiter. Sie meint, die Klägerin habe schon in den wenigen Wochen des Arbeitsverhältnisses zweimal unentschuldigt gefehlt, nach ihrer Krankmeldung habe sie trotz mehrfacher Aufforderung nicht zurückgerufen, es sei zu vermuten, daß die Klägerin ihrer früheren Tätigkeit in einer Bierbar nachgegangen und nicht wirklich arbeitsunfähig gewesen sei.
Die Klägerin bittet um Zurückweisung des gegnerischen Rechtsmittels. Sie verweist insbesondere auf die ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und behauptet, sie habe diese durch Boten jeweils der Beklagten zugesandt bzw. – mangels eines Briefkastens – Beschäftigten der Beklagten übergeben.
Es ist Beweis erhoben worden gemäß § 358 a ZPO durch schriftliche Einvernahme der behandelnden Ärztin, wie aus Bl. 89/90 und Bl. 94 d.A. ersichtlich.
Ergänzend wird auf die Feststellungen der Sitzungsniederschrift vom 5.4.1991 und den gesamten sonstigen Akteninhalt verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klägerin hat in der Zeit vom 24.9.1989 bis 20.10.1989 nicht gearbeitet. Sie macht gleichwohl Vergütungsansprüche für die Zeit vom 1.10. bis 20.10.1989 unter dem Gesichtspunkte der Lohnfortzahlung bei unverschuldeter Arbeitsverhinderung durch Krankheit geltend. Das Arbeitsverhältnis ist – ungeachtet seiner personalen Natur – auf Austausch von Arbeit gegen Entgelt gerichtet. Die Klägerin hat somit, will sie Vergütungsansprüche geltend machen, obwohl sie die vereinbarte Arbeit nicht geleistet hat, die Voraussetzung für das ausnahmsweise Bestehen eines Vergütungsanspruchs trotz Nichtleistung der vereinbarten Dienste, hier also ihre Arbeitsverhinderung durch Krankheit, darzutun und notfalls zu beweisen. Diesen Tatbestand hat die Klägerin im ersten Rechtszug durch Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung unter Beweis gestellt. Die Beklagte hat die Richtigkeit der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bestritten und ihre Zweifel im einzelnen begründet.
Der Überzeugungswert ärztlicher Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ist vom Gericht gemäß § 286 ZPO frei zu würdigen.
Wie sich aus der gesetzlichen Regelung des § 3 Abs. 1 LFG ergibt, mißt der Gesetzgeber der Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung einen erheblichen Beweiswert zu. Ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen begründen somit grundsätzlich die Vermutung der Richtigkeit der in ihnen bestätigten Feststellungen.
Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Oberzeugung zu entscheiden, ob es eine tatsächliche Behauptung für wahr oder nicht für wahr hält. Es ist an gesetzliche Be...