Entscheidungsstichwort (Thema)
Unwirksame Kündigung bei unterbliebener Anhörung des Personalrats. Geltung der sechsmonatigen Wartezeit nach § 1 KSchG auch für Leiharbeitnehmer. Typische Tatbestände einer treuwidrigen Kündigung
Leitsatz (redaktionell)
1. Nach Art. 77 Abs. 4 BayPVG ist eine Kündigung unwirksam, wenn der Personalrat nicht beteiligt worden ist. Dies gilt auch für eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses während der Probezeit. Für die Anhörung des Personalrats gelten die zu § 102 BetrVG in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze.
2. Das KSchG findet keine Anwendung bei Kündigungen, die noch während der sechsmonatigen Wartezeit nach § 1 KSchG ausgesprochen werden und dem Arbeitnehmer zugehen. Bei Leiharbeitnehmern kommt es dabei auf die Dauer des Arbeitsverhältnisses zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer an.
3. Typische Tatbestände einer treuwidrigen Kündigung sind ein widersprüchliches Verhalten des Arbeitgebers, der Ausspruch der Kündigung zur Unzeit oder in ehrverletzender Form und eine Kündigung, die den Arbeitnehmer diskriminiert. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Tatsachen, aus denen sich die Treuwidrigkeit ergibt, liegt beim Arbeitnehmer.
Normenkette
BayPVG Art. 6 Abs. 5, Art. 75 Abs. 1, Art. 77 Abs. 3-4; BetrVG § 102; KSchG § 1; BGB § 242
Verfahrensgang
ArbG München (Entscheidung vom 08.03.2021; Aktenzeichen 17 Ca 2507/20) |
Tenor
I. Auf Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 08.03.2021 - 17 Ca 2507/20 - abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer in der gesetzlichen Wartezeit erklärten ordentlichen Kündigung sowie über einen Weiterbeschäftigungsantrag der Klägerin.
Die am 00.00.0000 geborene und ledige Klägerin war bei der beklagten Stadt seit dem 12.12.2018 als Leiharbeitnehmerin auf dem Arbeitsplatz Sachbearbeiterin Auskunft im Kommunalreferat, Abteilung Immobiliendienstleistung, Zentraler Verwaltungsservice beschäftigt und wurde zum 01.07.2019 unter Beteiligung der zuständigen Personalvertretung gemäß Einstellungsverfügung vom 05.07.2019 (Anl. BB2 = Bl. 248 d. A.) auf diesem Arbeitsplatz als Tarifbeschäftigte im sonstigen Verwaltungsdienst übernommen. Am 06.08.2019 erklärte die Klägerin sich mit der Einsichtnahme in ihre bei der Bundesagentur für Arbeit geführten Personalakte einschließlich der Disziplinar- und Krankenakte einverstanden. Das dort vom 01.09.2016 bis 31.08.2018 bestehende Arbeitsverhältnis endete aufgrund Befristung.
Nach § 3 des Arbeitsvertrags vom 13.08.2019 (Anlage K1 = Bl. 6 ff. d. A.) bestimmte sich das Arbeitsverhältnis nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) und den ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen in der für den Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) jeweils geltenden Fassung einschließlich des Tarifvertrages zur Überleitung der Beschäftigten der kommunalen Arbeitgeber in den TVöD und zur Regelung des Übergangsrechts (§ 1 Abs. 2 TVÜ-VKA). Außerdem fanden die im Bereich der Arbeitgeberin jeweils geltenden sonstigen einschlägigen Tarifverträge, Richtlinien und erlassenen Vorschriften in der jeweils geltenden Fassung Anwendung. Danach war die Klägerin in die Entgeltgruppe 7 TVÖD eingereiht und erhielt zuletzt eine durchschnittliche monatliche Bruttovergütung von € 3.132,41. Gem. § 1 des Arbeitsvertrags galten die ersten sechs Monate als Probezeit.
Bei der Beklagten als Dienststelle gemäß Art. 6 Abs. 5 BayPVG gibt es einen Personalrat und einen Gesamtpersonalrat.
Zur Personalführung während der Probezeit gibt es bei der beklagten Stadt Leitfäden, Checklisten, Vorlagen u.a., nach denen mit der in der Probezeit befindlichen Dienstkraft ein Zwischengespräch zur Probezeit zu führen ist. Das Gespräch ist zwingend, findet regelmäßig zwei bis drei Monate nach Beginn der Probezeit statt und ist zu dokumentieren. Ein solches Zwischengespräch ist mit der Klägerin bis zum 09.01.2020 nicht geführt worden.
Vom 01.09.2019 bis 13.12.2019 fehlte die Klägerin arbeitsunfähig 36 Arbeitstage bzw. 49,32% der in diesem Zeitraum fallenden 73 Arbeitstage (vgl. Aufstellung i. d. Anl. 1 zur Personalratsanhörung (Bl. 125 f. d. A.)). Am 09.01.2020 wurde der Klägerin mitgeteilt, dass auf Grund ihrer "extrem hohen Ausfallzeiten" die Nichtbewährung in der Probezeit festgestellt werden müsse und die Kündigung während der Probezeit beabsichtigt sei. Mit Schreiben vom 05.02.2020 hielt die Beklagte an ihrer Absicht fest und bot der Klägerin an, zur Vermeidung einer Kündigung das Arbeitsverhältnis einvernehmlich durch Auflösungsvertrag mit Ablauf des 29.02.2020 zu beenden. Die Klägerin äußerte sich zum "Angebot eines Aufhebungsvertrags bzw. der Probezeitkündigung" mit Email vom 06.02.2020 (Anl. K 8 = Bl. 21 d. A.), erwähnte darin ihre Tätigkeit als Leiharbeitnehmerin und die Übernahme in das unbefristete Arbeitsverhäl...