Entscheidungsstichwort (Thema)
Fristlose Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers. Zustimmung des Integrationsamts
Leitsatz (amtlich)
1. Eine vor Ablauf der Frist des § 91 Abs. 3 SGB IX ausgesprochene außerordentliche Kündigung setzt das Vorliegen einer Zustimmungsentscheidung des Integrationsamts voraus.
2. Erklärt der Sachbearbeiter des Integrationsamts nach Eingang eines Antrags auf Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers innerhalb der Frist des § 91 Abs. 3 SGB IX dem Arbeitgeber fernmündlich, das Integrationsamt wolle die Sache verfristen lassen, ist eine vor Ablauf der Zweiwochenfrist dem Arbeitnehmer zugegangene außerordentliche Kündigung nach §§ 91, 85 SGB IX, 134 BGB nichtig.
Normenkette
BGB §§ 134, 626 Abs. 1; SGB IX § 91 Abs. 3, § 85
Verfahrensgang
ArbG Augsburg (Urteil vom 06.04.2005; Aktenzeichen 10 Ca 5431/02) |
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Endurteil des Arbeitsgerichts Augsburg vom 06.04.2005 (Az.: 10 Ca 5431/02) unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen abgeändert: Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die fristlose Kündigung des Beklagten vom 28.11.2002 nicht aufgelöst wurde.
II.Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz trägt der Kläger 1/3 und der Beklagte 2/3. Von den Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger 3/20 und der Beklagte 17/20.
III. Die Revision wird für den Beklagten zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung vom 28.11.2002 sowie über einen Anspruch auf Zahlung von EUR 1.524,79, den der Beklagte im Wege der Widerklage von dem Kläger zurückverlangt.
Der 1951 geborene, verheiratete Kläger ist seit 01.08.1971 bei dem Beklagten als Rettungsassistent beschäftigt. Der Kläger übte zuletzt die Funktion eines Wachleiters in der Rettungswache Sch. aus, in der ein Rettungswagen, ein Krankentransportwagen und ein Notarzteinsatzfahrzeug stationiert sind. Er erzielte dabei zuletzt einen Monatsverdienst von ca. EUR 3.000,00 brutto.
Der Kläger ist seit 1991 als Schwerbehinderter anerkannt. Erstmals mit Schreiben vom 20.09.2002 (Bl. 151 bis 152 d. A.) beantragte der Beklagte bei dem Integrationsamt bei der Regierung von Schwaben die Zustimmung zu einer außerordentlichen Kündigung des Klägers. Mit Bescheid vom 01.10.2002 (Bl. 153 bis 156 d. A.) lehnte das Integrationsamt den Antrag ab.
Mit einem Schreiben vom 11.11.2002 (Bl. 88 bis 90 d. A.) – eingegangenen bei der Regierung von Schwaben am 14.11.2002 – beantragte der Beklagte erneut die Zustimmung des Integrationsamts zur außerordentlichen Kündigung des Klägers. Am 28.11.2002 rief der Prozessbevollmächtigte des Klägers bei dem Integrationsamt wegen des Antrags auf Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung an. Der zuständige Mitarbeiter des Integrationsamts erklärte daraufhin gegenüber dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten: „Wir lassen die Sache verfristen” (Bl. 199 d. A.).
Mit Schreiben vom 28.11.2002 (Bl. 5 d. A.) – dem Kläger zugegangen am gleichen Tag – kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger fristlos. Dagegen hat der Kläger mit einem am 17.12.2002 bei dem Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Klage erhoben.
Der Kläger hat vorgetragen, die Kündigung sei unwirksam. Dazu sei bereits der Personalrat nicht ordnungsgemäß beteiligt worden. Auch liege keine wirksame Zustimmung des Integrationsamtes vor. Die Ausschlussfrist für den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung habe der Beklagte ebenso nicht gewahrt. Der Beklagte habe nach ursprünglicher Verweigerung der Zustimmung zur Kündigung durch das Integrationsamt andere behauptete Fälle eines Fehlverhaltens nicht unverzüglich untersucht. Jedenfalls fehle es auch an einem wichtigen Grund. Dem Kläger sei weder Betrug noch Urkundenfälschung vorzuwerfen. Der Kläger führe und erstelle Dienstpläne für insgesamt 7 hauptamtliche Beschäftigte, 3 bis 4 Zivildienstleistende und 25 ehrenamtliche Mitglieder des Beklagten. Diese seien in zwei Schichten eingeteilt. Der Kläger selbst fahre dabei nur noch im Notarztwagen. Vertretungsfälle seien in der Rettungswache alltäglich. Am 22.5.2002 habe der ehrenamtliche Fahrer L. die Schicht für den Kläger übernommen, sollte dies aber nicht selbst im Schichtplan ändern. Nachdem er dies doch gemacht habe, habe der Kläger die Eintragung wieder gelöscht und habe dies bei der Monatsabrechnung korrigieren wollen, dies aber dann vergessen. Herr L. sei aus der Wachgeldkasse bezahlt worden. Am 11.07.2002 habe Herr J. die Nachtschicht des Klägers übernommen und den Namen des Klägers im Dienstplan gestrichen, aber dabei vergessen, den Buchstaben „N” zu streichen. Herr J. sei aus der Wachkasse bezahlt worden. Am 19.06.2000 habe der Kläger tatsächlich gearbeitet und etwa 6 bis 7 Stunden Dienstpläne für die Staatsanwaltschaft kopiert. Am 08.01.2000 habe der Kläger vermutlich wegen der Monatsabrechnung den Dienst getauscht. Dazu sei er soga...