Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an eine konkludente Kürzungserklärung des Arbeitgebers i.S.d. § 17 Abs. 1 BEEG. Kein Ausschluss des Urlaubsabgeltungsanspruchs durch Vereinbarung während des bestehenden Arbeitsverhältnisses. Der Grundsatz von Treu und Glauben. Gegenseitige Pflicht zur Rücksichtnahme aus § 241 Abs. 2 BGB
Leitsatz (amtlich)
1. Vereinbaren die Parteien in einem Aufhebungsvertrag eine Abgeltungsklausel, so ist ohne Bezug zu einem Urlaubsverlangen der Arbeitnehmerin oder zu dem noch bestehenden Urlaub keine konkludente Kürzungserklärung des Arbeitgebers i.S.d. § 17 Abs. 1 BEEG verbunden.
2. Auch nach Aufgabe der Surrogatstheorie kann der Urlaubsabgeltungsanspruch nicht durch eine rechtsgeschäftliche Vereinbarung der Arbeitsvertragsparteien während des bestehenden Arbeitsverhältnisses ausgeschlossen oder beschränkt werden. Aus den Regelungen des § 17 BEEG kann eine gegenteilige Auffassung nicht begründet werden.
Leitsatz (redaktionell)
1. Treu und Glauben bilden eine allen Rechten, Rechtslagen und Rechtsnormen immanente Inhaltsbegrenzung. Eine unzulässige Rechtsausübung kann dann vorliegen, wenn sich ein Berechtigter auf eine formale Rechtsposition beruft, die er durch ein gesetz-, sitten- oder vertragswidriges Verhalten erlangt hat.
2. Grundsätzlich hat jede Partei selbst für die Wahrnehmung ihrer Interessen zu sorgen. Der jeder Partei zuzubilligende Eigennutz findet seine Grenze jedoch in dem schutzwürdigen Lebensbereich des Vertragspartners. Wo diese Grenze liegt, ist anhand der Umstände des Einzelfalls und mittels einer umfassenden Interessenabwägung zu ermitteln. Dabei sind insbesondere das erkennbare Informationsbedürfnis der einen Partei und die Beratungsmöglichkeiten der anderen Partei zu beachten und gegeneinander abzuwägen.
Normenkette
BGB § 241 Abs. 2, § 242; BEEG § 17 Abs. 1-3; BUrlG §§ 1, 3, 7 Abs. 4, § 13 Abs. 1 S. 3; RL 2003/88/EG Art. 7 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Rosenheim (Entscheidung vom 25.05.2022; Aktenzeichen 1 Ca 1284/21) |
Tenor
1. Die Berufungen der Parteien gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Rosenheim vom 25.05.2022 - 1 Ca 1284/21 - werden zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Klägerin zu 35/100 und die Beklagte zu 65/100 zu tragen.
3. Die Revision wird für die Beklagte, nicht aber für die Klägerin zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über Urlaubsabgeltungsansprüche der Klägerin.
Die Klägerin war bei der Beklagten seit dem 01.11.2016 beschäftigt, und zwar zuletzt als Head of Product Management zu einer monatlichen Bruttovergütung in Höhe von 4.166,00 €. Der Arbeitsvertrag vom 29.08.2016 enthielt folgende Urlaubsregelungen:
"§ 11 Urlaub
(1) Dem Arbeitnehmer steht der gesetzliche Mindesturlaub von 20 Tagen bei einer Beschäftigung an 5 Tagen pro Woche zu. Darüber hinaus gewährt der Arbeitgeber einen zusätzlichen vertraglichen Urlaub von 10 Tagen pro Kalenderjahr. Erhöht sich der allgemeine gesetzliche Mindesturlaub, so verringert sich der zusätzliche vertragliche Urlaubsanspruch in gleichem Umfang; Sonderurlaub besonders geschützter Personengruppen wird nicht angerechnet. Der gesetzliche Urlaubanspruch wird, wenn nicht schriftlich etwas Abweichendes vereinbart wird, jeweils zuerst in Anspruch genommen und gewährt.
(2) Der Urlaub ist im laufenden Kalenderjahr zu gewähren und zu nehmen. Er wird nur dann auf das nächste Kalenderjahr übertragen, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. Im Fall der Übertragung muss der zusätzliche vertragliche Urlaub in den ersten 3 Monaten des nächsten Kalenderjahrs gewährt und genommen werden. Ansonsten verfällt er jeweils mit Ablauf des 31.3. dieses nächsten Kalenderjahrs; dies gilt auch für Fälle, in denen der Arbeitnehmer den zusätzlichen vertraglichen Urlaub aufgrund von Krankheit nicht in Anspruch nehmen kann. Wird der zusätzliche vertragliche Urlaub nicht nach Maßgabe der vorstehenden Sätze auf das Folgejahr übertragen, dann verfällt er mit Ablauf des 31.12. des jeweiligen Kalenderjahres. Die Übertragung des gesetzlichen Urlaubs richtet sich nach den jeweiligen gesetzlichen Bestimmungen.
(1) Kann der gesetzliche Urlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden, so ist er nach Maßgabe der jeweils gültigen gesetzlichen Regelung abzugelten. Eine Abgeltung des zusätzlichen vertraglichen Urlaubsanspruchs ist ausgeschlossen.
(2) Im Ein- und Austrittsjahr wird der vertragliche Urlaub jeweils zeitanteilig gewährt. Für den gesetzlichen Urlaubsanspruch gelten insofern die gesetzlichen Bestimmungen. Soweit der gesetzliche Anspruch auch zeitanteilig zu gewähren ist, sind in Ansehung der Rundungsregel in § 5 Abs. 2 BUrlG der gesetzliche und der vertragliche Urlaubsanspruch zu addieren, sodann aus der Summe die zeitanteilige Quote zu ermitteln und erst im letzten Schritt die vorgenannte Rundungsregel anzuwenden.
...
(2) Im Übrigen gelten die gesetzlichen Bestimmungen."
Spätere Ergänzungen des Arbeitsvertrags ließen diese...