Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausübung billigen Ermessens beim Abschluss von Altersteilzeitverträgen der Deutschen Rentenversicherung. Beachtung des Gleichheitssatzes bei Änderung der Bewilligungspraxis mit sofortiger Wirkung. Ubegründete Klage einer Küchenhilfe auf Abschluss eines Teilzeitvertrages bei unzureichenden Einwendungen gegen die finanzielle Mehrbelastung und das Überschreiten der Überlastungsquote
Leitsatz (redaktionell)
1. § 2 Abs. 1 TV-ATZ-TgRV räumt der Arbeitnehmerin bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen keinen Anspruch auf Abschluss eines Änderungsvertrages zur Altersteilzeit ein; da die Tarifvertragsparteien die Entscheidung über die verlangte Vertragsänderung in das Ermessen der Arbeitgeberin gestellt haben, besteht vielmehr ein Anspruch darauf, dass die Arbeitgeberin bei der Entscheidung über den Antrag billiges Ermessen entsprechend § 315 Abs. 1 BGB wahrt.
2. Eine Entscheidung nach oder entsprechend § 315 BGB setzt voraus, dass die beiderseitigen Interessen abgewogen und dabei alle wesentlichen Umstände angemessen berücksichtigt werden; maßgeblich ist der Zeitpunkt, in dem die Arbeitgeberin die Ermessensentscheidung zu treffen hat.
3. Welche tatsächlichen Umstände in die Ermessensabwägung einzubeziehen sind, richtet sich nach dem jeweiligen Regelungsgegenstand; da die Tarifvertragsparteien in ihrer Regelung keine besonderen Umstände aufgeführt haben, die die Arbeitgeberin bei ihrer Entscheidung über einen Antrag auf Altersteilzeit nach § 2 Abs. 1 TV-ATZ-TgRV zu berücksichtigen hat, kommen alle sachlichen Gründe in Betracht, die sich aus einem Wechsel der Arbeitnehmerin in die Altersteilzeit ergeben.
4. Die finanzielle Mehrbelastung ist ein sachlicher Grund, der grundsätzlich geeignet ist, im Rahmen der Ausübung billigen Ermessens durch die Arbeitgeberin für eine Ablehnung des Altersteilzeitantrages herangezogen zu werden; ein Verstoß gegen § 2 Abs. 1 TV-ATZ-TgRV liegt allerdings dann vor, wenn Altersteilzeitanträge ohne Weiteres allein aus Gründen finanzieller Mehrbelastung abgelehnt werden und die wesentlichen Umstände des Einzelfalles und die beiderseitigen Interessen im Übrigen von vornherein außer Betracht bleiben.
5. Auch das Überschreiten der Überlastquote kann im Rahmen der Ermessensausübung und im Rahmen des § 2 Abs. 1 TV-ATZ-TgRV herangezogen werden; da dieser Umstand ein Grund ist, den die Arbeitgeberin sogar gegen Ansprüche aus § 2 Abs. 2 TV-ATZ-TgRV einwenden kann, kann sie ihn erst recht bei der Ausübung seines Ermessens im Rahmen von § 2 Abs. 1 TV-ATZ-TgRV berücksichtigen.
6. Unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung ist es unbedenklich, wenn die Arbeitgeberin sich entscheidet, ab sofort keine Altersteilzeitarbeitsverhältnisse mehr einzugehen und dies entsprechend umsetzt; bedenklich ist dieses Vorgehen nur dann, wenn die Arbeitgeberin zunächst später gestellten Anträgen auf Altersteilzeit nachkommt und früher gestellte Anträge unter Berufung auf einen Stichtag "ab sofort" ablehnt.
Normenkette
TV ATZ-TgRV § 2 Abs. 1; GG Art. 3 Abs. 1; BGB §§ 242, 315 Abs. 1, 3 S. 2, § 611 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Regensburg (Entscheidung vom 09.09.2010; Aktenzeichen 8 Ca 984/09) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Endurteil des Arbeitsgerichts Regensburg vom 09.09.2010 - Az. 8 Ca 984/09 - wird abgeändert:
Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Revision wird für die Klägerin zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, mit der Klägerin ein Altersteilzeitarbeitsverhältnis einzugehen.
Die Klägerin ist am 19.09.1952 geboren. Aufgrund Arbeitsvertrages vom 27.01.1993 (Bl. 14. f. d. A.) ist sie seit 01.06.1993 bei der Beklagten im Orthopädie-Zentrum C-Stadt, einem Eigenbetrieb der Beklagten, als Küchenhilfe beschäftigt. Ihr monatlicher Bruttolohn belief sich zuletzt auf € 2.387,56. Die Klägerin hat einen Grad der Behinderung von 30; eine Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen liegt nicht vor.
Auf das Arbeitsverhältnis findet der Tarifvertrag zur Regelung der Altersteilzeitarbeit der Tarifgemeinschaft der F. (TV ATZ-TgRV) Anwendung.
Der TV ATZ-TgRV regelt (auszugsweise) folgendes:
"§ 2 Voraussetzungen der Altersteilzeit
(1) Der Arbeitgeber kann mit Arbeitnehmern, die
a) das 55. Lebensjahr vollendet haben,
b) eine Beschäftigungszeit (z. B. § 19 BAT/BAT-TgRV-O) von fünf Jahren vollendet haben und
c) innerhalb der letzten fünf Jahre vor Beginn der Altersteilzeit mindestens 1.080 Kalendertage in einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch gestanden haben, die Änderung des Arbeitsverhältnisses in ein Altersteilzeitarbeitsverhältnis auf der Grundlage des Altersteilzeitgesetzes vereinbaren; das Altersteilzeitarbeitsverhältnis muss ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis im Sinne des Dritten Buches Sozialgesetzbuch sein.
(2) Arbeitnehmer, die das 60. Lebensjahr vollendet haben und die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 1 erfüllen, haben Anspruch auf Vereinbarung eines Altersteilzeitarbeitsverh...