Entscheidungsstichwort (Thema)
Soziale Auswahl. Sozialauswahl und kündigungsrechtliche Stellung nach einer Spaltung
Leitsatz (amtlich)
1.Die in einer Betriebsvereinbarung enthaltene befristete Beschäftigungsgarantie ist Bestandteil der kündigungsrechtlichen Stellung eines Arbeitnehmers gem. § 323 Abs. 1 UmwG. Im Fall der Insolvenz eines ausgegliederten Unternehmens innerhalb von zwei Jahren nach der Spaltung steht diese Beschäftigungsgarantie jedoch dem Sonderkündigungsrecht des Insolvenzverwalters nicht entgegen.
2. Die kündigungsrechtliche Stellung i.S.d. § 323 Abs. 1 UmwG umfasst nicht die kündigungsrechtliche Rechtsposition der Sozialauswahl im Zeitpunkt der Spaltung.
Wird deshalb einem Arbeitnehmer innerhalb von zwei Jahren nach der Spaltung betriebsbedingt gekündigt, ist die Sozialauswahl gem. § 1 Abs. 3 KSchG nur auf den Betrieb des derzeitigen Arbeitgebers und nicht auf das vor der Spaltung bestehende (Gesamt-)Unternehmen zu erstrecken.
Normenkette
InsO § 113 Abs. 1; UmwG § 323 Abs. 1; KSchG § 1 Abs. 3
Verfahrensgang
ArbG München (Urteil vom 28.10.2003; Aktenzeichen 18b Ca 2565/02 I) |
Nachgehend
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird dasEndurteil desArbeitsgerichts München vom28. Oktober 2003 – Az.: 18b Ca 2565/02 I – abgeändert und die Klage abgewiesen.
2. Die Klagepartei trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der betriebsbedingten Kündigung vom 28.11.2002 zum 28.02.2003.
Die 60-jährige Klagepartei war seit dem 20.08.1973 bei der Fa. D. (= früherer Arbeitgeber) in I. als Helfer im Druckereibereich zu einem Monatsbruttolohn in Höhe von zuletzt EUR 2.200,– beschäftigt.
Auf Grund eines Gesellschafterbeschlusses vom 13.08.2001 der früheren Arbeitgeberin wurden aus dem Unternehmen drei rechtlich selbstständige Tochterunternehmen nach dem Umwandlungsgesetz ausgegliedert. Die frühere Arbeitgeberin blieb als Holding – Gesellschaft bestehen. Es entstanden die Fa. D., die Fa. A. und für den Bereich der Druckerei, in dem die Klagepartei beschäftigt war, die Fa. C. (= Insolvenzschuldnerin) als eigenständige Unternehmen. Vor der Spaltung hatte die frühere Arbeitgeberin mit dem Betriebsrat am 25.04.2001 eine Betriebsvereinbarung Nr. 03/2001 zur Regelung der Arbeitszeit im Rahmen einer Jahresarbeitszeit im Bereich Akzidenz vereinbart. Diese hatte eine Laufzeit vom 01.10.2001 bis 30.06.2003 unter Ausschluss einer Nachwirkung.
Ziff. 7.) „Beschäftigungsgarantie” lautet:
„Den Arbeitnehmern, die unter den Geltungsbereich dieser Betriebsvereinbarung fallen, wird für die Dauer von zwei Jahren, beginnend mit dem Tag, an dem diese Betriebsvereinbarung in Kraft tritt, eine Beschäftigung garantiert. In dieser Zeit dürfen aus betriebsbedingten Gründen lediglich Änderungskündigungen ausgesprochen werden.Verhaltens- und personenbedingte Kündigungen bleiben uneingeschränkt zulässig. Eine Nachwirkung ist ausgeschlossen.”
Auf Grund wirtschaftlicher Schwierigkeiten der Insolvenzschuldnerin musste am 19.09.2002 Insolvenzantrag gestellt werden. Der Beklagte wurde zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt. Das Insolvenzverfahren wurde vom Amtsgericht Ingolstadt vom 28.11.2002, 12.00 Uhr eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt.
Mit Schreiben vom 19.11.2002 – unterzeichnet vom Beklagten als vorläufigen Insolvenzverwalter sowie dem Geschäftsführer L. der Insolvenzschuldnerin – war der Betriebsrat zur beabsichtigten Kündigung aller Mitarbeiter wegen der geplanten Betriebsstilllegung zum 31.03.2003 angehört worden. Am 28.11.2002 schlossen der Beklagte als Insolvenzverwalter und der Betriebsrat der Insolvenzschuldnerin einen Interessenausgleich mit Namensliste, auf der auch die Klagepartei aufgeführt war.
§ 3 „Frühere Vereinbarungen” lautet:
„Es wird vorsorglich vereinbart, dass frühere Vereinbarungen, die dem Sinn und Zweck dieser Vereinbarung entgegenstehen, außer Kraft treten und durch diese Vereinbarung ersetzt werden.”
Das auf den 28.11.2002 datierte Kündigungsschreiben wurde vom Beklagten unterzeichnet und am 29.11.2002 abgeschickt.
Wegen des unstreitigen Sachverhalts im Übrigen und des streitigen Vorbringens sowie der Anträge der Parteien im ersten Rechtszug wird auf den Tatbestand des Endurteils des Arbeitsgerichts München vom 28.10.2003 Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht gab der Klage statt, weil die Kündigung gegen § 323 Abs. 1 UmwG verstoßen habe. Nach Meinung des Arbeitsgerichts sei für die Prüfung der sozialen Auswahl und der Weiterbeschäftigungsmöglichkeit auf den Zeitpunkt vor der Ausgliederung abzustellen. § 323 Abs. 1 UmwG sei als umfassendes gesetzliches Verschlechterungsgebot zu verstehen. Hiervon würden auch kollektivrechtliche Vereinbarungen, die den Kündigungsschutz verbessern würden, fallen. Damit hätte der Beklagte bei der sozialen Auswahl alle noch beschäftigten Arbeitnehmer des ursprünglichen vor der Ausgliederung bestehenden Betriebes mit einbeziehen müssen. Es sei zu k...