Entscheidungsstichwort (Thema)
Erlöschen des Urlaubsanspruchs bei unwiderruflicher Freistellung. Auslegung einer in einem gerichtlichen Vergleich getroffenen Erledigungserklärung. Kein Ausschluss noch zu berechnender Urlaubsabgeltungsansprüche durch Ausgleichsklausel
Leitsatz (amtlich)
Die in einem gerichtlichen Vergleich enthaltene Klausel, wonach das Arbeitsverhältnis bis zu dessen Beendigung ordnungsgemäß unter Zugrundelegung eines bestimmten Bruttomonatsgehalts abzurechnen ist und der sich ergebende Nettobetrag auszuzahlen ist, führt dazu, dass Zahlungsansprüche - und insbesondere der Anspruch auf Urlaubsabgeltung -, die anhand der Bruttomonatsvergütung zu errechnen sind, trotz einer Klausel im gerichtlichen Vergleich, wonach mit Erfüllung des Vergleichs sämtlich finanzielle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und aus Anlass von dessen Beendigung abgegolten sind, nicht abgegolten sind.
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine Freistellungserklärung kann das Erlöschen des Urlaubsanspruchs nur dann bewirken, wenn sie unwiderruflich erfolgt.
2. Welche Rechtsqualität und welche Reichweite eine Erledigungsklausel in einem gerichtlichen Vergleich hat, ist durch Auslegung nach den allgemeinen Regeln der §§ 133, 157 BGB zu ermitteln. Von einem Willen, einen umfassenden Anspruchsausschluss zu vereinbaren, kann nicht ausgegangen werden, wenn die Parteien vereinbart haben, dass neben den im Prozessvergleich gegebenenfalls ausdrücklich genannten noch weitere, nicht näher bezeichnete Ansprüche zu erfüllen sind.
Normenkette
BUrlG § 5 Abs. 1 Buchst. c), § 7 Abs. 4, § 11 Abs. 1; BGB §§ 133, 157, 615
Verfahrensgang
ArbG München (Entscheidung vom 19.05.2022; Aktenzeichen 36 Ca 7892/21) |
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 19. Mai 2022 - 36 Ca 7892/21 - insoweit abgeändert, als die Beklagte verurteilt wird, an den Kläger 2.700,-- Euro brutto nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 31. März 2021 zu zahlen.
2. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
3. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte. Von den Kosten erster Instanz tragen der Kläger 55% und die Beklagte 45%.
4. Die Revision wird für die Beklagte zugelassen. Im Übrigen wird die Revision nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien, die in erster Instanz auch über Schadensersatz- und Überstundenvergütungsansprüche des Klägers gestritten hatten, streiten im Berufungsverfahren (lediglich) noch über einen Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf Urlaubsabgeltung.
Der Kläger war ab 1. Juni 2019 bei der Beklagten als Triebfahrzeugführer beschäftigt. Der schriftliche Arbeitsvertrag der Parteien sah einen Anspruch auf jährlichen Erholungsurlaub von 30 Arbeitstagen auf Basis einer 5 Tage Woche vor (Bl. 188 ff. der Akte).
Die Beklagte kündigte dieses Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 4. Februar 2021 fristlos, woraufhin der Kläger Kündigungsschutzklage erhob. Im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung standen dem Kläger aus dem Vorjahr noch zehn Tage Resturlaub zu. Für das laufende Jahr wurde ihm jedenfalls bis 31. Januar 2021 kein Urlaub gewährt. Das Kündigungsschutzverfahren endete durch mit Beschluss vom 6. April 2021 festgestellten gerichtlichen Vergleich der Parteien mit folgendem Inhalt:
"1. Die Parteien sind sich einig, dass das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis aufgrund ordentlicher betriebsbedingter Kündigung der Beklagten mit Schreiben vom 04.02.2021 mit Ablauf des 15.03.2021 geendet hat. Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordnungsgemäß unter Zugrundelegung eines Bruttomonatsgehaltes von Euro 3.900,- abrechnen und den sich ergebenden Nettobetrag an den Kläger auszahlen.
2. Die Beklagte erklärt, die Vorwürfe, welche der fristlosen Kündigung vom 04.02.2021 zugrunde lagen, nicht länger aufrechtzuerhalten.
3. Die Beklagte verpflichtet sich, an den Kläger als sozialen Ausgleich für den Verlust seines Arbeitsplatzes entsprechend §§ 9, 10 Kündigungsschutzgesetz eine Abfindung in Höhe von Euro 3000,- (in Worten: dreitausend) brutto zu zahlen.
...
6. Mit Erfüllung dieses Vergleichs sind sämtliche finanziellen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und aus Anlass dessen Beendigung abgegolten und erledigt.
7. Damit ist der Rechtsstreit erledigt."
Der Kläger hat in erster Instanz die Ansicht vertreten, er habe einen Anspruch auf Abgeltung von zehn Resturlaubstagen aus dem Jahr 2020 sowie sechs Urlaubstagen aus dem Jahr 2021. Dem stehe die Abgeltungsklausel im gerichtlichen Vergleich nicht entgegen, da diese die Erfüllung des Vergleichs voraussetze und Ziff. 1 des Vergleichs regle, dass das Arbeitsverhältnis bis zu dessen Beendigung ordnungsgemäß abgerechnet werde. Es sei bewusst davon abgesehen worden, den Zahlungsanspruch im Vergleich abschließend zu beziffern, da er seinem damaligen Bevollmächtigten die tatsächlichen Urlaubsabgeltungs- und Überstundenvergütungsansprüche nicht rechtzeitig habe mitteilen können.
Soweit für das Berufungsverfahren von Interesse, hat der Kläger...