Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein unbestimmter Auskunftsanspruch des Betriebsrats aus § 80 Abs. 2 BetrVG. Keine Kontrolle der subjektiven arbeitgeberseitigen Rechtsanwendung durch den Betriebsrat. Tarifbindung des Arbeitgebers bei kollidierenden Tarifverträgen. Kein Datenbeschaffungsanspruch des Betriebsrats aus § 80 Abs. 2 Satz BetrVG
Leitsatz (redaktionell)
1. Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, ohne konkrete Angaben des Betriebsrats von Amts wegen zu prüfen, welche Aufgabe dessen Auskunftsanspruch aus § 80 Abs. 2 BetrVG stützt und aus welchen Gründen die verlangte Information für die Durchführung dieser Aufgabe benötigt werden könnte. Der Informationsanspruch ist strikt aufgabengebunden und in seiner Reichweite durch das Erforderlichkeitsprinzip bestimmt.
2. Der Betriebsrat ist kein dem Arbeitgeber übergeordnetes Kontrollorgan. Somit obliegt ihm auch nicht die abstrakte Überprüfung, ob die Arbeitgeberin die "richtige" Entscheidung darüber getroffen hat, welche Gewerkschaft sie als Mehrheitsgewerkschaft des Betriebes im Sinne des § 4 a Abs. 2 Satz 2 TVG ansieht.
3. Der Arbeitgeber kann nach § 4 a Abs. 2 Satz 1 TVG an mehrere Tarifverträge unterschiedlicher Gewerkschaften gebunden sein. Die Tarifverträge der Minderheitsgewerkschaften werden durch eine Kollisionslage nicht unwirksam, sondern lediglich gemäß § 4 a Abs. 2 Satz 2 TVG in ihrem Anwendungsbereich verdrängt.
4. Ein erst auf die Herstellung und Aufbereitung bestimmter Daten gerichteter Anspruch lässt sich nicht aus § 80 Abs. 2 Satz 2 BetrVG herleiten.
Normenkette
BetrVG § 80 Abs. 1-2; TVG § 13 Abs. 3, § 4a
Verfahrensgang
ArbG Hannover (Entscheidung vom 04.05.2022; Aktenzeichen 5 BV 11/21) |
Tenor
Die Beschwerde des Beteiligten zu 1) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts A-Stadt vom 04.05.2022, Aktenzeichen 5 BV 11/21, wird zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über Auskunftsansprüche aus dem Betriebsverfassungsgesetz.
Der Beteiligte zu 1) (im Folgenden: Betriebsrat) ist der A. R. 3.1 der C., welcher auf der Grundlage des Tarifvertrags zu betriebsverfassungsrechtlichen Fragen bei der C., den weiteren Unternehmen des Schienenpersonennahverkehrs und der R.B.Gesellschaft vom 29.08.2017 (Bl. 196-213 dA.) gewählt wurde.
Die Beteiligte zu 2) (im Folgenden: Arbeitgeberin) ist ein Tochterunternehmen der D.B. AG und Mitglied des tarifschließenden Arbeitgeberverbands AGV MOVE, welcher sowohl mit der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (im Folgenden: EVG) als auch mit der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (im Folgenden: GDL) Tarifverträge abgeschlossen hat.
In den Betrieben der Arbeitgeberin wurden nach Inkrafttreten des § 4 a TVG sowohl die Tarifverträge der GDL als auch die Tarifverträge der EVG nebeneinander angewendet. Dem lagen der "Tarifvertrag zur Sicherung kollisionsfreier Tarifbestimmungen" zwischen der EVG und dem AGV MOVE sowie der "Tarifvertrag zur Regelung von Grundsatzfragen" (GrundsatzfragenTV) zwischen der GDL und dem AGV MOVE zugrunde. Der GrundsatzfragenTV endete mit Ablauf des 31.12.2020 ohne Nachwirkungen.
Mit Schreiben vom 18.03.2021 (Bl. 131 f. dA.) informierte die Arbeitgeberin den Betriebsrat, dass seit dem 01.01.2021 § 4 a TVG gelte und künftig in jedem Betrieb der Tarifvertrag der Mehrheitsgewerkschaft zur Anwendung komme. Aus technischen und organisatorischen Gründen werde das Tarifeinheitsgesetz schrittweise in den betroffenen Betrieben umgesetzt, wobei die erste Phase der Umsetzung ab dem 01.04.2021 beginne. Im Einzelnen ist ausgeführt:
"Da die DB keine Kenntnis über die Anzahl der Gewerkschaftsmitglieder hat, hatte sie eine begründete Annahme zu treffen. Grundlage dafür waren zum Beispiel die Ergebnisse der letzten Betriebsratswahl, vorliegende Personalsystemeinstellungen und Tarifbindungsanzeigen. Um hier zu gesicherten Ergebnissen zu kommen, hatte die DB beide Gewerkschaften aufgefordert, die Mehrheitsverhältnisse über ein notarielles Verfahren gemeinsam ermitteln zu lassen.
Die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) hatte ihre Bereitschaft zur Teilnahme an einem solchen Verfahren erklärt. Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) hatte ihre Beteiligung abgelehnt. Die EVG hat sich daraufhin einseitig bereit erklärt, dennoch für einzelne Betriebe Daten über einen Notar offenzulegen. Diese notariell beurkundeten Ergebnisse flossen zusätzlich in die Bestimmung der Mehrheitsverhältnisse durch die DB ein."
Für den Wahlbetrieb Niedersachsen/Bremen R. 3.1 der C. wurde mitgeteilt, dass die GDL nach § 4 a TVG als die betriebliche Mehrheitsgewerkschaft anzusehen sei.
Der Betriebsrat begehrt von der Arbeitgeberin, ihm die im Antrag aufgeführten Auskünfte über die in seinem Wahlbetrieb ermittelten gewerkschaftlichen Mitgliedsverhältnisse sowie über die in die Bewertung der gewerkschaftlichen Mehrheitsverhältnisse eingegangenen Wertungen und die Art und Weise der vorgenommenen Gesamtbetrachtung zu erteilen.
Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, ihm stehe aus § 80 Abs. 2 BetrVG ein ent...