Entscheidungsstichwort (Thema)
Eingruppierung i.S.d. § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG. Inhaltliche Anforderungen an die Unterrichtung des Betriebsrats bei einer Eingruppierung. Unterrichtung des Betriebsrats über Eingruppierungen in den Mehrheitstarifvertrag nach der Kollisionsregelung des § 4a TVG
Leitsatz (amtlich)
1. Eingruppierung iSv. § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist die erstmalige oder erneute Einreihung eines Arbeitnehmers in eine betriebliche Vergütungsordnung. Eine Umgruppierung ist jede Änderung dieser Einreihung. Über eine solche muss der Arbeitgeber auch dann befinden, wenn sich bei gleichbleibender Tätigkeit die betriebliche Vergütungsordnung ändert und infolge dieser Änderung eine Entscheidung über eine Neueingruppierung des Arbeitnehmers erforderlich wird (BAG 23. Februar 2021 - 1 ABR 4/20 - Rn. 27, BAGE 174, 87; 30. September 2014 - 1 ABR 32/13 - Rn. 21, BAGE 149, 182).
2. Im Rahmen des Verfahrens nach § 99 BetrVG bedarf es keiner Beschreibung der Arbeitsplätze und des Tätigkeitsinhalts durch den Arbeitgeber, wenn die Tätigkeiten der Arbeitnehmer gleich bleiben und die Tätigkeitsmerkmale des neu anzuwendendenn Tarifvertrags im Wesentlichen inhaltsgleich mit denjenigen sind, die aufgrund des zuvor angewendeten Tarifvertrags galten.
3. Meint ein Arbeitgeber, er müsse in Anwendung der Kollisionsregelungen gemäß § 4a TVG Eingruppierungen nunmehr nach einem anderen Tarifvertrag vornehmen, so genügt er seiner Unterrichtungspflicht gegenüber dem Betriebsrat, wenn er die von ihm angewandten Kriterien mitteilt, die ihn zu der Annahme führten, dass es sich um den Mehrheitstarifvertrag handelt. Gegebenenfalls ist es dann Sache des Betriebsrats, eine Vervollständigung der Unterrichtung zu erbitten.
Normenkette
BetrVG §§ 99, 99 Abs. 2; TVG § 4a
Verfahrensgang
ArbG Hannover (Entscheidung vom 22.06.2022; Aktenzeichen 5 BV 2/22) |
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts A-Stadt wird zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
Gegenstand des Verfahrens ist die Beteiligung des Antragstellers (Betriebsrats) bei der Umgruppierung einer Vielzahl von Arbeitnehmern durch die Beteiligte zu 2. (Arbeitgeberin).
Die Arbeitgeberin, ein Tochterunternehmen der Deutschen Bahn AG, ist Mitglied des tarifschließenden Arbeitgeberverbands D., der sowohl mit der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (im Folgenden: EVG) als auch mit der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (im Folgenden: GDL) Tarifverträge geschlossen hat. Nachdem ein die Anwendung des Tarifeinheitsgesetzes aufschiebender Tarifvertrag ohne Nachwirkung ausgelaufen war, setzte die Arbeitgeberin die Anwendung des § 4a TVG stufenweise um. Für den hier in Rede stehenden Betrieb brachte sie die Tarifverträge der EVG zur Anwendung, weil sie diese als Mehrheitsgewerkschaft ansieht. Daher beabsichtigt sie eine Umgruppierung der im Antrag genannten Arbeitnehmer, die bislang nach den Tarifverträgen der GDL eingruppiert waren, in die Tarifverträge der EVG.
Die Arbeitgeberin unterrichtete den Betriebsrat über die geplante schrittweise Umsetzung des Tarifeinheitsgesetzes in ihren Betrieben. Sie teilte mit, dass eine einvernehmliche Feststellung der Mehrheitsverhältnisse mangels Angabe der Mitgliederzahlen durch die GDL nicht möglich gewesen sei und daher alle zur Verfügung stehenden anderen Erkenntnisquellen herangezogen worden seien, namentlich die Ergebnisse der Betriebsratswahlen 2018, vorliegende Tarifbindungsanzeigen von Gewerkschaftsmitgliedern, im Rahmen eines notariellen Verfahrens mit der EVG ermittelte gewerkschaftliche Mehrheitsverhältnisse in den Betrieben und eine Analyse der betrieblichen Situation mit den Personalverantwortlichen. Beigefügt war eine Liste der betroffenen Arbeitnehmer mit Vornamen und Nachnamen nebst Angabe der Mitarbeiterkategorie (Angestellte oder zugewiesene Beamte), der ausgeübten Beschäftigung, der LS-Abteilung, des Arbeitsorts, der bisherigen Eingruppierung bzw. beamtenrechtlichen Bewertung, eines Vorschlags zum einschlägigen Entgelttarifvertrag sowie zur Entgeltgruppe. Für den Tag vor der Betriebsratssitzung bot die Arbeitgeberin dem Betriebsrat eine "Sprechstunde" für Rückfragen zu der Eingruppierungsliste an. Hiervon machte der Betriebsrat auch auf Nachfrage der Arbeitgeberin, ob noch Fragen offen seien, keinen Gebrauch; die stellvertretende Betriebsratsvorsitzende antwortete, es seien bisher keine Fragen aufgekommen.
Der Betriebsrat verweigerte die Zustimmung zu den beabsichtigten Umgruppierungen (Bl. 124 f. d.A.) und führte aus: "Die Ablehnung begründen wir mit § 99 Abs. 2 Satz 1, 3 und 4 des BetrVG. Des Weiteren kann keine Zustimmung geben (sic) werden, da wir gegenwärtig mit der Beschlusslage des Betriebsrates vom 28.07.2021 und 11.08.2021 gem. §§ 33/80 ff. des BetrVG über das Einleitungen (sic) eines einstweiligen Verfügungsverfahrens und eines Hauptsacheverfahrens auf Unterlassung der Durchführung von Tarifverträgen, hilfsweise Auskunft unter Vorlage von Unterlagen vor dem Arbeitsgericht in A-Sta...