Entscheidungsstichwort (Thema)
Unterrichtung des Betriebsrats über eine personelle Einzelmaßnahme. Ermittlung des Mehrheitstarifvertrags i.S.d. § 4a TVG. Zustimmungsverweigerung des Betriebsrats gem. § 99 Abs. 2 BetrVG
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Arbeitgeber hat den Betriebsrat so zu unterrichten, dass dieser aufgrund der mitgeteilten Tatsachen in der Lage ist zu prüfen, ob einer der in § 99 Abs. 2 BetrVG genannten Zustimmungsverweigerungsgründe vorliegt. In den Fällen der Ein- und Umgruppierung besteht das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates nach § 99 Abs. 1 und Abs. 2 BetrVG in einem Recht auf Mitbeurteilung der Rechtslage im Sinne der Richtigkeitskontrolle.
2. Gelten in einem Betrieb mehrere inhaltsgleiche Tarifverträge mehrerer Gewerkschaften, muss der Arbeitgeber zur Erfüllung der ihm obliegenden Pflicht eine Bestimmung des im Betrieb geltenden Tarifvertrages gemäß § 4a Abs. 2 Satz 2 TVG unter Verwertung der ihm vorliegenden Erkenntnisquellen vornehmen, die Mitarbeiter über das Ergebnis informieren und den jeweils in dem Betrieb geltenden Tarifvertrag benennen.
3. Der Betriebsrat kann die Zustimmung zu einer beabsichtigten Eingruppierung auch mit der Begründung verweigern kann, dass die vom Arbeitgeber angewandte Vergütungsordnung nicht diejenige sei, die im Betrieb zur Anwendung kommen müsse, da auch die Anwendung der zutreffenden Vergütungsordnung zum mitbestimmungspflichtigen Eingruppierungsvorgang gemäß § 99 Abs.1 BetrVG gehört.
Normenkette
GG Art. 9 Abs. 3; TVG § 3 Abs. 1, § 4a Abs. 2; BetrVG § 80 Abs. 1, §§ 99, 101
Verfahrensgang
ArbG Leipzig (Entscheidung vom 14.01.2022; Aktenzeichen 3 BV 28/21) |
Tenor
1. Die Beschwerde vom 16.02.2022 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Leipzig vom 14.01.2022 (Az: 3 BV 28/21) wird
zurückgewiesen.
2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Betriebsrat seine Zustimmung zu beabsichtigten Eingruppierungen wirksam verweigerte, indem er die Anwendbarkeit der Rechtsnormen des vom Arbeitgeber als „Mehrheitstarifvertrag“ i.S.v. § 4a Abs. 2 TVG ermittelten Tarifvertrages bezweifelte und ob der Arbeitgeber deshalb verpflichtet war, ein Zustimmungsersetzungsverfahren einzuleiten.
Antragsteller ist der in dem Wahlbetrieb R.7.2. der Beteiligten zu 2 (künftig: Arbeitgeberin) gewählte Betriebsrat. Die Arbeitgeberin, in deren Unternehmen regelmäßig mehr als zwanzig wahlberechtigte Arbeitnehmer beschäftigt werden, ist Mitglied im Arbeitgeber-und Wirtschaftsverband der Mobilitäts-und Verkehrsdienstleister e.V. (AGV MOVE), der Tarifverträge mit der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) wie mit der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) geschlossen hat.
Hierzu gehören u.a. der mit der GDL geschlossene“Bundes-Rahmentarifvertrag für das Zugpersonal der Schienenbahnen des Personen- und Güterverkehrs in der Bundesrepublik Deutschland“ (BuRa-ZugTV AGV Move) vom 17.09.2017 in der Fassung vom 19.12.2019 (Bl. 14-49 d.A. I. Instanz) wie der mit der EVG geschlossene“Funktionsgruppenspezifische Tarifvertrag für Tätigkeiten der Funktionsgruppe 6 -Allgemeine Aufgaben verschiedener Unternehmen des DB Konzerns“ (FGr6 -TV) vom 17.09.2020 (Bl. 50-144 d.A. I. Instanz). Beide Tarifverträge enthalten Eingruppierungsregelungen für Tätigkeiten, die von den in den Anträgen genannten Arbeitnehmern ausgeführt werden.
Die Arbeitgeberin wandte die beiden vorbenannten Tarifverträge auch in der Zeit nach dem 10.07.2015, d. h. nach dem Inkrafttreten des § 4a TVG, bis zum 31.12.2020 auf die Arbeitsverhältnisse der in dem Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer nebeneinander an, da aufgrund tarifvertraglicher Vereinbarungen die Wirkungen des § 4a Abs.2 TVG bis zu diesem Zeitpunkt suspendiert waren.
Mit Schreiben vom 22.03.2021 informierte die Arbeitgeberin ihre Mitarbeiter darüber, dass ab dem 01.01.2021 gemäß § 4a Abs. 2 TVG nur noch der“Mehrheitstarifvertrag“, d.h. der Tarifvertrag der Gewerkschaft zur Anwendung kommt, die in dem jeweiligen Betrieb die meisten in einem Arbeitsverhältnis stehenden Mitglieder hat, falls sich die Geltungsbereiche verschiedener Tarifverträge, an die die Arbeitgeberin gebunden ist, überschneiden. Die Tätigkeiten bzw. Bereiche, in denen dies der Fall war, teilte sie mit (Bl. 219-221 d.A, I. Instanz).
In einer diesem Schreiben beigefügten Anlage listete sie die jeweils in den benannten Wahlbetrieben anwendbaren Tarifverträge der GDL bzw. EVG auf.
Die Arbeitgeberin informierte den Betriebsrat zur Beantwortung seiner Anfrage vom 01.04.2021 mit Schreiben vom 08.04.2021 über das von ihr durchgeführte Verfahren zur Mehrheitsfeststellung und die hierbei von ihr berücksichtigten Erkenntnisquellen (Ergebnis der letzten Betriebsratswahl, ihr vorliegende Tarifbindungsanzeigen, die in einem notariellen Verfahren ermittelte Mitgliederzahl der EVG in dem Betrieb sowie ein Analyse der betrieblichen Situation mit dem betrieblichen Personalverantwortlichen) und wies darauf hin, dass die GDL eine notarielle Feststellung ihrer Mitgliederzahlen abgelehnt hab...