Entscheidungsstichwort (Thema)
Einreichen der Berufungsbegründungsschrift als elektronisches Dokument
Leitsatz (amtlich)
1. Die Glaubhaftmachung einer technischen Störung iSd. § 46g Satz 3 ArbGG erfordert keinerlei Nachforschungen über deren Ursache bzw. ihren Entstehungsort, sondern knüpft rein formal und routinemäßig lediglich an das Vorliegen einer vorübergehenden Unmöglichkeit der Übermittlung aus technischen Gründen an.
2. Die Glaubhaftmachung ist stets erforderlich; sie ist nicht einmal dann entbehrlich, wenn die technische Störung des beA gerichtsbekannt bzw. offenkundig iSv. § 291 ZPO ist.
3. Um dem Gericht zu ermöglichen, die Ursache der Unmöglichkeit, ein elektronisches Dokument einzureichen, nachzuvollziehen, ist eine aus sich heraus verständliche, geschlossene Schilderung der tatsächlichen Abläufe oder Umstände notwendig, die zu der vorübergehenden technischen Störung geführt haben.
4. Versäumt es ein Rechtsanwalt, sich rechtzeitig um Ersatz für seine ablaufende Signaturkarte zu kümmern, beruht die Unmöglichkeit, ein elektronisches Dokument einzureichen, nicht auf einer technischen Störung, sondern darauf, dass sich der Prozessbevollmächtigte selbst der erforderlichen technischen Mittel begeben hatte.
Leitsatz (redaktionell)
Für eine wirksame Ersatzeinreichung eines Schriftsatzes nach § 46g S. 3 ArbGG bedarf es zwingend der Glaubhaftmachung einer vorübergehenden technischen Störung nach § 46g S. 4 ArbGG.
Normenkette
ArbGG §§ 46c, 46c Abs. 2, §§ 46g, 64 Abs. 7; ZPO §§ 130d, 233, 85 Abs. 2, § 94 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Celle (Entscheidung vom 29.06.2022; Aktenzeichen 2 Ca 2/22) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Celle vom 29. Juni 2022 - 2 Ca 2/22 - wird kostenpflichtig als unzulässig verworfen.
Der Gegenstandswert wird auf 33.064,22 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Die Parteien streiten im Berufungsrechtszuge noch um die Wirksamkeit einer Kündigung, die allgemeine Feststellung, dass zwischen ihnen ein Arbeitsverhältnis bestehe, die Feststellung von Schadensersatzansprüchen des Klägers, die Erteilung eines Zwischenzeugnisses, die Entfernung zweier Abmahnungen aus der Personalakte des Klägers sowie dessen Weiterbeschäftigung bei Meidung einer monatlich zu zahlenden Entschädigung. Hinsichtlich des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien nebst Anträgen sowie der Würdigung, die jenes Vorbringen dort erfahren hat, wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des Urteils des Arbeitsgerichts Celle vom 29. Juni 2022 (Bl. 62 bis 65 d.A.) Bezug genommen.
Das Urteil ist dem Kläger am 11. Juli 2022 zugestellt worden. Er hat am 11. August 2022 Berufung eingelegt. Die Berufungsbegründung hat er am Montag, den 12. September 2022 per Telefax eingereicht und ihr Anlagen beigefügt, die Probleme bei der Übertragung durch besonderes elektronisches Anwaltspostfach (beA) und eine Korrespondenz des Prozessbevollmächtigten des Klägers mit dem sogenannten Servicedesk der Bundesnotarkammer ausweisen; wegen des genauen Inhalts wird auf Bl. 173 bis 179 d.A. Bezug genommen. Ebenfalls am 12. September 2022 hat er der Geschäftsstelle des Berufungsgerichts fernmündlich erklärt, er habe seit vier Tagen Probleme mit seinem beA; seine Karte funktioniere nicht. Er hat angefragt, ob er die Berufungsbegründung per Telefax senden könne. Die Gerichtsangestellte B. hat ihm darauf mitgeteilt, er könne dies tun, und den Hinweis erteilt, er möge gleichzeitig dem Gericht mitteilen und glaubhaft darlegen, dass er seit Tagen Probleme mit seinem beA bzw. seiner Karte habe und aus diesem Grund die Berufungsbegründungsschrift nicht fristgerecht per beA habe einreichen können. Auf den Telefonvermerk Bl. 181 d.A. wird Bezug genommen. Ausweislich eines weiteren Telefonvermerks (Bl. 182 d.A.) hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers am selben Tage mit der Gerichtsangestellten R. telefoniert und den gleichen Sachverhalt geschildert. Frau R. hat ihm mitgeteilt, er solle die Berufungsbegründung per Telefax schicken und mitteilen bzw. glaubhaft machen, dass sein beA bzw. seine Signaturkarte nicht funktioniere; die entsprechenden "Hinweise" dazu möge er mitschicken. Am 13. September 2022 ist ein gerichtlicher Hinweis auf Bedenken gegen die Zulässigkeit der Berufung erfolgt. Er lautet auszugsweise: "Gemäß §§ 64 Abs. 7, 46g Satz 1, 3, 4 ArbGG ist die Berufungsbegründung als elektronisches Dokument zu übermitteln. Ist dies aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich, bleibt zwar die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig; die vorübergehende Unmöglichkeit ist jedoch bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen. Die Berufungsbegründung enthält jedoch keinerlei Angaben dazu, weshalb die Einreichung der Berufungsbegründung als elektronisches Dokument vorübergehend nicht möglich gewesen sei. Erst recht fehlt es an einer Glaubhaftmachung".
Am 15. September 2022 hat der Klägervertreter die Berufungsbegründungsschrift per beA erneut eingereicht. Mit Schriftsatz vom selben Tage (Bl. 207 bis 219...