Entscheidungsstichwort (Thema)

Glaubhaftmachung einer technischen Störung i.S.d. § 46g Satz 3 ArbGG. Erforderlichkeit der Glaubhaftmachung i.S.d. § 46g Satz 3 ArbGG. Anforderungen an die Glaubhaftmachung einer technischen Störung bei der elektronischen Dokumentenübermittlung. Keine Ersatzbeschaffung einer ablaufenden Signaturkarte als Ursache der unmöglichen Einreichung von Dokumenten bei Gericht. Prüfungszuständigkeit für die ordnungsgemäße Einreichung von Dokumenten bei Gericht

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Glaubhaftmachung einer technischen Störung iSd. § 46g Satz 3 ArbGG erfordert keinerlei Nachforschungen über deren Ursache bzw. ihren Entstehungsort, sondern knüpft rein formal und routinemäßig lediglich an das Vorliegen einer vorübergehenden Unmöglichkeit der Übermittlung aus technischen Gründen an.

2. Die Glaubhaftmachung ist stets erforderlich; sie ist nicht einmal dann entbehrlich, wenn die technische Störung des beA gerichtsbekannt bzw. offenkundig iSv. § 291 ZPO ist.

3. Um dem Gericht zu ermöglichen, die Ursache der Unmöglichkeit, ein elektronisches Dokument einzureichen, nachzuvollziehen, ist eine aus sich heraus verständliche, geschlossene Schilderung der tatsächlichen Abläufe oder Umstände notwendig, die zu der vorübergehenden technischen Störung geführt haben.

4. Versäumt es ein Rechtsanwalt, sich rechtzeitig um Ersatz für seine ablaufende Signaturkarte zu kümmern, beruht die Unmöglichkeit, ein elektronisches Dokument einzureichen, nicht auf einer technischen Störung, sondern darauf, dass sich der Prozessbevollmächtigte selbst der erforderlichen technischen Mittel begeben hatte.

 

Leitsatz (redaktionell)

Erklärungen der Geschäftsstelle des Gerichts zu der Frage, ob eine ordnungsgemäße Einreichung von Dokumenten vorliegt, sind ohne Belang, denn diese ist eine Frage der Zulässigkeit und von Amts wegen zu beachten. Die Entscheidung darüber, ob die Anforderungen des § 46g ArbGG erfüllt sind, obliegt dem zuständigen Spruchkörper des Gerichts und nicht der Geschäftsstelle.

 

Normenkette

ArbGG §§ 46c, 46c Abs. 2, §§ 46g, 64 Abs. 7; ZPO §§ 130d, 233, 85 Abs. 2, § 94 Abs. 1, § 291

 

Verfahrensgang

ArbG Celle (Entscheidung vom 29.06.2022; Aktenzeichen 2 Ca 2/22)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Celle vom 29. Juni 2022 - 2 Ca 2/22 - wird kostenpflichtig als unzulässig verworfen.

Der Gegenstandswert wird auf 33.064,22 Euro festgesetzt.

 

Gründe

I.

Die Parteien streiten im Berufungsrechtszuge noch um die Wirksamkeit einer Kündigung, die allgemeine Feststellung, dass zwischen ihnen ein Arbeitsverhältnis bestehe, die Feststellung von Schadensersatzansprüchen des Klägers, die Erteilung eines Zwischenzeugnisses, die Entfernung zweier Abmahnungen aus der Personalakte des Klägers sowie dessen Weiterbeschäftigung bei Meidung einer monatlich zu zahlenden Entschädigung. Hinsichtlich des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien nebst Anträgen sowie der Würdigung, die jenes Vorbringen dort erfahren hat, wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des Urteils des Arbeitsgerichts Celle vom 29. Juni 2022 (Bl. 62 bis 65 d.A.) Bezug genommen.

Das Urteil ist dem Kläger am 11. Juli 2022 zugestellt worden. Er hat am 11. August 2022 Berufung eingelegt. Die Berufungsbegründung hat er am Montag, den 12. September 2022 per Telefax eingereicht und ihr Anlagen beigefügt, die Probleme bei der Übertragung durch besonderes elektronisches Anwaltspostfach (beA) und eine Korrespondenz des Prozessbevollmächtigten des Klägers mit dem sogenannten Servicedesk der Bundesnotarkammer ausweisen; wegen des genauen Inhalts wird auf Bl. 173 bis 179 d.A. Bezug genommen. Ebenfalls am 12. September 2022 hat er der Geschäftsstelle des Berufungsgerichts fernmündlich erklärt, er habe seit vier Tagen Probleme mit seinem beA; seine Karte funktioniere nicht. Er hat angefragt, ob er die Berufungsbegründung per Telefax senden könne. Die Gerichtsangestellte B. hat ihm darauf mitgeteilt, er könne dies tun, und den Hinweis erteilt, er möge gleichzeitig dem Gericht mitteilen und glaubhaft darlegen, dass er seit Tagen Probleme mit seinem beA bzw. seiner Karte habe und aus diesem Grund die Berufungsbegründungsschrift nicht fristgerecht per beA habe einreichen können. Auf den Telefonvermerk Bl. 181 d.A. wird Bezug genommen. Ausweislich eines weiteren Telefonvermerks (Bl. 182 d.A.) hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers am selben Tage mit der Gerichtsangestellten R. telefoniert und den gleichen Sachverhalt geschildert. Frau R. hat ihm mitgeteilt, er solle die Berufungsbegründung per Telefax schicken und mitteilen bzw. glaubhaft machen, dass sein beA bzw. seine Signaturkarte nicht funktioniere; die entsprechenden "Hinweise" dazu möge er mitschicken. Am 13. September 2022 ist ein gerichtlicher Hinweis auf Bedenken gegen die Zulässigkeit der Berufung erfolgt. Er lautet auszugsweise: "Gemäß §§ 64 Abs. 7, 46g Satz 1, 3, 4 ArbGG ist die Berufungsbegründung als elektronisches Dokument zu übermitteln. Ist dies aus technischen Gründen vorübergehend nicht mög...

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