Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitsvorgang. Leitungstätigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

Das Tatbestandsmerkmal „Kindertagesstätten mit einer Durchschnittsbelegung von mindestens 100 Plätzen” ist nicht dahingehend auszulegen, dass bei der übertragenen Leitung mehrerer organisatorisch getrennter Kindertagesstätten nebeneinander sämtliche Betreuungsplätze dieser Einrichtungen zusammenzurechnen sind.

Nach dem Sinn und Zweck der Tarifnorm findet eine Zusammenrechnung der durchschnittlich belegbaren, auf mehrere Kindertagesstätten verteilten Plätze dann nicht statt, wenn es sich nicht um eine zusammenhängende organisatorische Einheit handelt.

Bei Übertragung einer Leitungstätigkeit dienen alle Einzelaufgaben dieser Leitungstätigkeit – gleich wie diese tariflich zu bewerten sind – einem einheitlichen Arbeitsergebnis. Sie bilden daher einen einzigen großen Arbeitsvorgang (BAG vom 05. April 1995 – 4 AZR 183/94 –; vom 12. Juni 1996 – 4 AZR 71/95 –).

Die Leitung jeder Kindertagesstätte stellt einen eigenen abgrenzbaren Arbeitsvorgang dar. Die Leitungsfunktion für jede einzelne Kindertagesstätte dient einem eigenen abgrenzbaren Arbeitsergebnis, nämlich jeweils bezogen auf die zu diesem Zeitpunkt wahrgenommenen Aufgaben für die jeweilige Kindertagesstätte. Dabei übt die Klägerin nicht gleichzeitig ständig beide Leitungsfunktionen aus und betreut damit nicht gleichzeitig sämtliche durchschnittlich belegbaren Plätze in diesen Kindertagesstätten.

 

Normenkette

BAT § 22 Vergütungsgruppe IVb Fallgruppe 4, § 27 Vergütungsgruppe IVb Fallgruppe 4

 

Verfahrensgang

ArbG Braunschweig (Urteil vom 11.02.2010; Aktenzeichen 1 Ca 411/09)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 12.12.2012; Aktenzeichen 4 AZR 199/11)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 11. Februar 2010, Az. 1 Ca 411/09 E, abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um tarifgerechte Eingruppierung der Klägerin ab 01. Januar 2009.

Die Klägerin ist bei der Beklagten als Leiterin von Kindertagesstätten beschäftigt. Kraft beiderseitiger Tarifbindung fand der Bundesangestelltentarifvertrag (im Folgenden: BAT) auf das Arbeitsverhältnis Anwendung. Ab 01. Oktober 2005 findet nach den Überleitungsbestimmungen des Tarifvertrages zur Überleitung der Beschäftigten der kommunalen Arbeitgeber in den TVöD und zur Regelung des Übergangsrechts (im Folgenden: TVÜ-VKA) der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (im Folgenden: TVöD) Anwendung.

Bis 31. Oktober 2006 leitete die Klägerin die Kindertagesstätte „C.” in D. Ab 01. November 2006 übertrug die Beklagte ihr zusätzlich die Funktion der Leiterin der Kindertagesstätte „E.” in F. mit 30,03 Stunden in der Woche und die Leitung der Kindertagesstätte „C.” mit 8,97 Wochenstunden. In der Kindertagesstätte „E.” waren vom 01. Oktober 2008 bis 31. Dezember 2008 durchschnittlich 90 vergebene, gleichzeitig belegbare Plätze vorhanden, verteilt auf fünf Gruppen. In der Kindertagesstätte „C.” wurden vom 01. Oktober 2008 bis 31. Dezember 2008 39 Kinder in zwei Gruppen betreut.

Nach den Parametern der Personalbemessung sind wöchentlich für jede Gruppe einer Kindertagesstätte fünf Leitungsstunden, bei größeren Kindertagesstätten mit mindestens fünf Gruppen pauschal zusätzlich zehn weitere Leitungsstunden angesetzt. Die Klägerin erbringt drei Stunden in der Woche für den Arbeitsvorgang „Tagespflege”. Die Leitungstätigkeit für beide Kindertagesstätten erfüllt sie mit einem Zeitaufwand von 36 Stunden in der Woche, wobei sie Synergieeffekte nutzt.

Es werden für beide Kindertagesstätten gemeinsame Veranstaltungen und in zeitlichen Abständen gemeinsame Dienstbesprechungen vorgenommen. Die Klägerin gibt für beide Kindertagesstätten die Standards für Teamführung, die Schwerpunktbildung in der pädagogischen Arbeit und die Heranziehung pädagogischer Instrumente einheitlich vor. Für beide Einrichtungen bestehen einheitliche Handlungsleitlinien wie Eingewöhnungsstandards bei der Eingewöhnung der Kinder.

Die Klägerin kann unaufschiebbaren Leitungsaufgaben in jeder Kindertagesstätte auch dann nachkommen, wenn sie sich in der jeweils anderen Kindertagesstätte aufhält. Sie ist telefonisch erreichbar. Ferner besteht die Möglichkeit, kurzfristig aufgrund der bestehenden Entfernung zwischen beiden Einrichtungen zu pendeln. Dies kann der Fall sein, wenn die Klägerin mit Eltern von betreuten Kindern – etwa aufgrund von Beschwerden – telefonische oder persönliche Gespräche zu führen hat. In beiden Kindertagesstätten können Situationen auftreten, in denen ein sofortiges Eingreifen der Klägerin als Leiterin erforderlich ist, etwa wenn Anzeichen für eine Kindeswohlgefährdung bestehen.

Die Beklagte unterhält sieben Kindertagsstätten in eigener Trägerschaft und betreut eine weitere, die als Verein organisiert ist. Für alle acht Einrichtungen gibt es einen einheitlichen Leitfaden zur konzeptionellen und organisatorischen Ausgestaltung. Die Maßnahme...

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