Entscheidungsstichwort (Thema)
Widerruf. Besitzstandszulage. Bewährungszulage. Sonderurlaub aus familiären Gründen
Leitsatz (amtlich)
Der Begriff des Urlaubs in Ziffer 1 der Protokollerklärung zu § 9 Abs. 4 TVÜ-L umfasst auch den Sonderurlaub aus familiären Gründen; andernfalls hätten die Tarifparteien bei der Schaffung der Besitzstandsregelung gegen Art. 6 GG verstoßen und die betroffene Arbeitnehmerin hätte nach dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgebot einen Anspruch auf die vorenthaltene Vergünstigung in Gestalt der Besitzstandszulage.
Normenkette
Ziffer 1 der Protokollerklärung zu § 9 Abs. 4 TVÜ-L
Verfahrensgang
ArbG Osnabrück (Urteil vom 11.05.2010; Aktenzeichen 1 Ca 530/09) |
Tenor
Die Berufung des beklagten Landes gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Osnabrück vom 11.05.2010 – 1 Ca 530/09 – wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat das beklagte Land zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um den Widerruf einer tariflichen Besitzstandszulage (ehemals Bewährungszulage).
Die Klägerin ist seit dem Juli 1983 als Justizangestellte beim beklagten Land beschäftigt und beim Amtsgericht A-Stadt in der Betreuungsabteilung tätig.
Auf Grundlage des Schreibens vom 12.03.1998 wurde der Klägerin ab dem 05.04.1998 nach zwölfjähriger Bewährung in einer Tätigkeit der Vergütungsgruppe VI BAT gemäß Fußnote 1 zur Vergütungsgruppe VI Teil II Abschnitt N Unterabschnitt I der Anlage 1a) zum BAT eine Bewährungszulage gewährt (vgl. Bl. 98 d. A.). In dem Zeitraum von 1992 bis 2001 bekam die Klägerin insgesamt drei Kinder. Nach der Geburt ihres zweiten Kindes nahm die Klägerin bis zum Jahr 2004 Elternzeit und anschließend bis August 2007 Sonderurlaub zur Betreuung ihrer Kinder unter Fortfall der Dienstbezüge. Nach Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit im August 2007 erhielt die Klägerin die ihr zuvor gewährte Bewährungszulage zunächst unverändert weiter in Höhe von zuletzt monatlich 115,51 EUR brutto ausgezahlt. Seither erfolgt der Einsatz der Klägerin in einer Serviceeinheit beim Amtsgericht A-Stadt.
Mit Schreiben vom 11.03.2009 (vgl. Bl. 6 und 7 d. A.) widerrief die Beklagte die der Klägerin mit Schreiben vom 12.03.1998 bewilligte Bewährungszulage rückwirkend zum 11.09.2008. Dabei bezog sich die Beklagte auf die Regelungen in § 9 Abs. 4 TVÜ-L. In der Gehaltsabrechnung für den Monat April 2009 hielt das beklagte Land für die Monate September 2008 bis Februar 2009 einen Betrag in Höhe von insgesamt 678,94 EUR brutto ein. Ab März 2009 zahlt das beklagte Land an die Klägerin die streitgegenständliche Zulage nicht mehr.
Die Klägerin hat in erster Instanz die Auffassung vertreten, dass die ihr seit 1998 gewährte Zulage weiter zu zahlen sei. Die im Schreiben vom 11.03.2009 zur Begründung angeführte Vorschrift des § 9 Abs. 4 TVÜ-L rechtfertige den Widerruf der Zulage nicht. In dieser Vorschrift werde als unschädliche Unterbrechungen u. a. der Urlaub aufgeführt. Nach dem Wortlaut sowie dem Sinn und Zweck umfasse dieser Begriff auch den Sonderurlaub zur Kinderbetreuung. Andernfalls würde das eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung gegenüber vergleichbaren Mitarbeitern ohne Sonderurlaub am 31.10.2009 bedeuten und zu einer ungerechtfertigten mittelbaren Benachteiligung von Frauen führen.
Die Klägerin hat beantragt,
- das beklagte Land zu verurteilen, an sie 678,94 EUR brutto nebst Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hierauf seit dem 01.05.2009 zu zahlen;
- das beklagte Land zu verurteilen, an sie weitere 693,09 EUR brutto nebst Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf jeweils 115,51 EUR seit dem 01.04.2009, 01.05.2009, 01.06.2009, 01.07.2009, 01.08.2009 und 01.09.2009 zu zahlen.
Das beklagte Land hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es hat die Auffassung vertreten, schon im Anschluss an den Sonderurlaub dazu berechtigt gewesen zu sein, die Zulage zu widerrufen. Im TV-L sei die Bewährungszulage nicht mehr vorgesehen und könne nur dann als außertarifliche Besitzstandszulage weiter gezahlt werden, wenn sie der Klägerin am 31.10.2006 zugestanden habe. Der Sonderurlaub aus familiären Gründen sei jedoch nach der insoweit abschließenden Protokollerklärung Ziffer 1) zu § 9 Abs. 4 TVÜ-L gerade kein unschädlicher Unterbrechungstatbestand. Hieraus resultiere auch keine mittelbare Diskriminierung der Klägerin wegen ihres Geschlechtes, da der Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses durch den Sonderurlaub aus familiären Gründen stets die gemeinsame Entscheidung der Eltern vorgeschaltet sei, wer von ihnen die Arbeit wegen Kindererziehung unterbreche.
Mit Urteil vom 11.05.2010 hat das Arbeitsgericht Osnabrück der Klage stattgegeben.
Es hat seine Entscheidung im Wesentlichen damit begründet, dass der Ausschluss von Arbeitnehmern in der Protokollerklärung Ziffer 1) zu § 9 Abs. 4 TVÜ-L, die am 31.10.2006 Sonderurlaub zum Zwecke der Kinderbetreuung in Anspruch genommen hätten, gegen Art. 3 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 6 Abs. 1 GG verstoße. Hieraus folge der Anspruch der Klä...