Entscheidungsstichwort (Thema)

Unangemessene und gleichheitswidrige tarifliche Zuschlagsregelung für unterschiedliche Formen der Nachtarbeit

 

Leitsatz (amtlich)

Eine tarifvertragsgleiche Regelung (im Streitfall MTV Futtermittelindustrie Niedersachsen/Bremen vom 3. Juli 1989), die für Nachtarbeit einen Zuschlag vom 60 % zum Stundenlohn vorsieht, während Nachtarbeit im Schichtbetrieb lediglich mit einem Zuschlag von 25 % vergütet wird, stellt Nachschichtarbeitsnehmer gegenüber Arbeitnehmern, die außerhalb von Schichtsystemen Nacharbeit leisten, gleichheitswidring schlechter.

 

Normenkette

GG Art. 3 Abs. 1; TVÜ § 3 Abs. 1; GG Art. 1 Abs. 3, Art. 9 Abs. 3; ArbZG § 2 Abs. 5, § 6 Abs. 5; MTV Futtermittelindustrie Niedersachsen/Bremen § 4 Abs. 2 S. 1 Buchst. d)-e) Fassung: 1989-07-03

 

Verfahrensgang

ArbG Osnabrück (Entscheidung vom 11.12.2019; Aktenzeichen 4 Ca 290/19)

 

Tenor

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin

1. 705,83 € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 8. Juni 2019 sowie

2. 221,29 € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 02. August 2019 sowie

3. 1.088,82 € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29. November 2019 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die erstinstanzlichen Kosten hat die Beklagte zu 81 %, die Klägerin 19 % zu tragen. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten im Berufungsverfahren im Wege der Zahlungsklage über Ansprüche der Klägerin auf höhere Nachtarbeitszuschläge für die Monate Februar, März, April, Mai, Juli, August und September 2019. Bei dem vorliegenden Verfahren handelt es sich um eines von insgesamt drei Musterverfahren. Weitere 8 zweitinstanzlich durch Vergleich erledigte Verfahren sollen entsprechend diesen Musterverfahren behandelt werden.

Die am 00.00.1990 geborene Klägerin ist seit dem 00.00.2014 am Standort B. bei der Beklagten, einem Unternehmen der Tierernährung, zu einem Stundenlohn von 16,53 € brutto beschäftigt. Sie wird im 3-Schicht-System mit regelmäßiger Nachtarbeit von Montag bis Freitag idR eingesetzt. Die Beklagte zahlt ihr für die in der Zeit zwischen 22:00 Uhr und 6:00 Uhr gearbeiteten Stunden einen Zuschlag in Höhe von 25% pro Stunde. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet aufgrund beiderseitiger Tarifbindung der Manteltarifvertrag Futtermittelindustrie N./B. vom 3. Juli 1989, gültig ab 1. Januar 1989 (im Folgenden: MTV) Anwendung.

In § 4 MTV heißt es auszugsweise wörtlich:

"§ 4 Mehr-, Nacht-, Schicht-, Sonn- und Feiertagsarbeit

I. Begriffsbestimmungen

1. Mehrarbeit ist die über die festgelegte regelmäßige tägliche Arbeitszeit hinausgehende Arbeit.

...

2. Nachtarbeit ist die in der Zeit von 20.00 Uhr bis 6.00 Uhr geleistete Arbeit.

Bei Schichtarbeit beginnt die Nachtarbeit um 22.00 Uhr.

...

5. Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit ist ebenso wie Mehrarbeit nach Möglichkeit zu vermeiden. Sie ist - außer bei regelmäßiger Schichtarbeit - im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen nur vorübergehend in Fällen einer dringenden betrieblichen Notwendigkeit im Einvernehmen mit dem Betriebsrat zulässig. Die im Rahmen dieser Bestimmungen festgelegte Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit ist zu leisten.

II. Vergütung

1. Für Mehr-, Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit sowie für Schichtarbeit sind folgende Zuschläge zu zahlen:

a) für Mehrarbeit

25 v.H.

b) für Mehrarbeit ab der dritten Stunde täglich im inneren Betrieb

40 v.H.

c) für Arbeit am sonst arbeitsfreien Werktag, soweit es sich um Mehrarbeit handelt

50 v.H.

d) für Nachtarbeit, die keine regelmäßige Schichtarbeit ist

60 v.H.

e) für regelmäßige Schichtarbeit, die in die Nachtzeit von 22 Uhr bis 6 Uhr fällt

25 v.H.

Regelmäßige Schichtarbeit im Sinne dieser Bestimmung liegt nicht vor, wenn die Schichtarbeit weniger als eine Woche dauert.

f) für Arbeiten an Sonntagen

75 v.H.

g) für Arbeiten an gesetzlichen Feiertagen, auch wenn diese auf einen Sonntag fallen

25 v.H.

...

4. Die Zuschläge werden von dem tatsächlichen Stundenverdienst oder dem tatsächlichen Monatsverdienst berechnet. Bei Angestellten und Monatslöhnern ist zur Berechnung des Entgelts je Arbeitsstunde, bei Stundenlöhnern zur Berechnung des Monatslohnes von einem Divisor bzw. Multiplikator

von

173

ab 1.10.1989

169

ab 1.10.1990

165

auszugehen.

Beim Zusammentreffen mehrerer Zuschläge gemäß Ziffer 1 ist nur der höchste, bei gleicher Höhe nur ein Zuschlag zu zahlen, außer dem Zuschlag für Nachtschichtarbeit. Dieser Zuschlag bleibt ohne Anrechnung.

...

III. Schichtfreizeit

Arbeitnehmer, die in 3schichtigem Wechsel arbeiten und deshalb nach ihrem Schichtplan regelmäßig Nachtarbeit leisten, erhalten für je 60 geleistete Nachtschichten 1 Tag bezahlte Schichtfreizeit. Das Entgelt bemisst sich nach § 10, III. Ziff. 1 (Urlaubsentgelt).

..."

Zur Geltendmachung von Ansprüchen bestimmt § 14 MTV auszugsweise wörtlich:

"Gegenseitige Ansprüche aller Art aus dem Arbeitsverhältnis sind innerhalb ei...

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