Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch eines freigestellten Betriebsratsmitglieds auf seine Vergütung. Darlegungs- und Beweislast des freigestellten Betriebsratsmitglieds für den Erfolg seiner hypothetisch eingereichten Bewerbung auf einen höheren Porsten bei Unterlassen seiner Bewerbung aufgrund des Status als Betriebsratsmitglief
Leitsatz (amtlich)
1. Die Entscheidung des BGH vom 10.01.2023 - 6 StR 133/22 - steht dem Anspruch eines freigestellten Betriebsratsmitgliedes aus § 611 a Abs.2 BGB i.V.M. § 78 Satz 2 BetrVG nicht entgegen.
2. Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass er die Bewerbung gerade wegen seiner Freistellung unterlassen hat und eine Bewerbung ohne seine Freistellung erfolgreich gewesen wäre, trägt das anspruchsstellende Betriebsratsmitglied. Dabei muss das Gericht gemäß § 286 ZPO davon überzeugt sein, dass das Betriebsratsmitglied ohne Mandatsträgerschaft die Beförderungsposition übertragen bekommen und übernommen hätte (BAG, 22.01.2022 - 7 AZR 222/19).
3. Dass der Arbeitgeber dem Betriebsratsmitglied regelmäßig die Anpassungsentscheidung einer in seinem Betrieb gebildeten Kommission zur Betriebsratsvergütung mitgeteilt und dementsprechend tatsächlich Vergütung geleistet hat, begründet weder eine vertragliche Vereinbarung der Parteien über die Vergütung noch folgt daraus, dass dann, wenn der Arbeitgeber die mitgeteilte Vergütung im Nachhinein für zu hoch hält, er hierfür nach den Grundsätzen der korrigierenden Rückgruppierung darlegungs- und beweispflichtig wäre.
Normenkette
BetrVG § 37 Abs. 4, § 78 S. 2; BGB § 611 a Abs. 2, § 611a Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Braunschweig (Entscheidung vom 05.07.2023; Aktenzeichen 3 Ca 138/23) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts B-Stadt vom 05.07.2023 - 3 Ca 138/23 - unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels zu einem geringen Teil abgeändert und zur Klarstellung wie folgt neu gefasst:
- Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.897,00 € brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.03.2023 auf 987,50 €, auf weitere 639,50 € seit dem 03.04.2023, auf weitere 639,50 € seit dem 02.05.2023 und auf weitere 639,50 € seit dem 01.06.2023 zu zahlen.
- Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger restliche Vergütung für die Monate Oktober 2022 bis Januar 2023 in Höhe von 2.592,96 € brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
- Es wird festgestellt, dass die Beklagte vom 01.01.2016 bis 30.09.2022 und ab dem 01.06.2023 verpflichtet ist, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger entsprechend der jeweils geltenden tarifvertraglichen und betrieblichen Regelungen für Beschäftigte in der Entgeltstufe 20 durchzuführen.
- Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Vergütung des Klägers als freigestelltes Betriebsratsmitglied.
Der am 27.10.1962 geborene Kläger ist ausgebildeter Kfz-Mechaniker mit einem zusätzlichen Abschluss als Industriemeister, Fachrichtung Metall, inklusive Ausbildereignung und seit dem 01.11.1984 bei der Beklagten in deren Werk in C-Stadt beschäftigt.
Bis zum 01.05.2002 war der Kläger als Anlagenführer eingesetzt und erhielt eine Vergütung nach der Entgeltstufe 13 des auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anzuwendenden tarifvertraglichen Vergütungssystems.
Seit dem 02.05.2002 ist der Kläger Mitglied des im Werk der Beklagten in C-Stadt gewählten Betriebsrates und zu 100 % von seiner beruflichen Tätigkeit freigestellt.
Zunächst erfolgte seine Vergütung weiterhin nach der Entgeltstufe 13. Mit Schreiben vom 31.01.2003 (Blatt 22 der Akte) teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass die Kommission Betriebsratsvergütung sein Arbeitsentgelt ab 01.01.2003 entsprechend der Entwicklung der mit ihm vergleichbaren Arbeitnehmer gemäß § 37 Abs. 4 BetrVG in die Entgeltstufe 14 angepasst habe (Blatt 22 der Akte). In der Folgezeit fanden regelmäßig weitere Anpassungen des Arbeitsentgelts und entsprechende schriftliche Mitteilungen der Beklagten an den Kläger unter Bezugnahme auf § 37 Abs. 4 BetrVG statt (Blatt 23-27 der Akte); zuletzt mit Schreiben vom 09.12.2014 (Blatt 28 der Akte), in dem die Beklagte den Kläger darüber informierte, dass sein Arbeitsentgelt entsprechend der mit ihm vergleichbaren Arbeitnehmern mit betriebsüblichen Entwicklung gemäß § 37 Abs. 4 BetrVG zum 01.01.2015 nach Entgeltstufe 20 erhöht werde.
Im Oktober 2015 unterbreitete der damalige Fertigungsleiter für den Bereich Karosseriebau, Lackiererei und Montagen der Golffertigung einschließlich der Wagenfertigstellung, Herr Werner Gose, dem Kläger das Angebot, im Bereich der Wagenfertigstellung als Fertigungskoordinator tätig zu werden. Seinerzeit gab es in diesem Bereich drei Stellen für Fertigungskoordinatoren, von denen nur eine besetzt war. Herr Gose hielt den Kläger für die "Idealbesetzung" und begründete dies mit dessen Kenntnissen im Ber...