Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch eines freigestellten Betriebsratsmitglieds auf die Vergütung vergleichbarer Arbeitnehmer mit beruflicher betriebsüblicher Entwicklung
Leitsatz (amtlich)
1. Der Anspruch eines freigestellten Betriebsratsmitglieds auf die Vergütung vergleichbarer Arbeitnehmer mit beruflicher betriebsüblicher Entwicklung folgt aus § 611a Abs.2 BGB i.V.m § 37 Abs.4 BetrVG.
2. Das Betriebsratsmitglied kann sich den Vortrag des Arbeitgebers zur Vergleichsgruppenbildung hilfsweise zu eigen machen.
3. Bei einer kleinen Vergleichsgruppe, innerhalb derer tarifliche Höherstufungen nach keinem erkennbaren System erfolgt sind, ist für die Ermittlung der betriebsüblichen Entwicklung auf die durchschnittliche Erhöhung abzustellen. Dem steht die Entscheidung des BGH vom 10.01.2023 - 6 StR 133/2223 nicht entgegen.
Normenkette
BetrVG § 37 Abs. 4; BGB § 611 a Abs. 2, § 611a Abs. 2; BetrVG § 37 Abs. 4
Verfahrensgang
ArbG Braunschweig (Entscheidung vom 15.11.2023; Aktenzeichen 3 Ca 166/23) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts vom 15.11.2023 - 3 Ca 166/23 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die zutreffende Bemessung der Vergütung des Beklagten.
Der am 00.00.0000 geborene Beklagte ist bei der Klägerin, einem Unternehmen der Automobilindustrie, seit dem 14.11.1995 tätig und seit dem 04.05.2002 freigestelltes Mitglied des bei der Klägerin in deren Betrieb gebildeten Betriebsrates.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden die zwischen der Klägerin und der IG Metall Bezirksleitung Niedersachsen und Sachsen-Anhalt geschlossenen Tarifverträge Anwendung.
Der Beklagte ist ausgebildeter Maurer. Er war bis zum 04.05.2002 als Güteprüfer tätig und in die Entgeltstufe (ES) 11 eingruppiert.
Zur Bestimmung der Entgeltentwicklung von Betriebsratsmitgliedern hat die Klägerin mit dem Gesamtbetriebsrat verschiedene Vereinbarungen getroffen und zwar mit Wirkung ab dem 01.10.1991 die Regelung über die Einsetzung einer Kommission zu § 37 Abs. 4 BetrVG (vgl. Bl. 144 der erstinstanzlichen Akte), mit Wirkung ab dem 01.04.2012 die Gesamtbetriebsvereinbarung "Kommission zur Festlegung der Vergütung von Betriebsratsmitgliedern der Aktiengesellschaft" nebst Geschäftsordnung (vgl. Bl. 142 u. 143 der erstinstanzlichen Akte) sowie mit Wirkung ab dem 01.12.2020 die Gesamtbetriebsvereinbarung "Bestimmung der Entgeltentwicklung von Betriebsratsmitgliedern (GBV 2020, vgl. Bl. 167 - 171 der erstinstanzlichen Akte).
Mit Schreiben vom 14.10.2002 teilte die Kommission für die Festlegung der Vergütung der Betriebsratsmitglieder dem Beklagten mit, sie habe sein Entgelt entsprechend der mit ihm vergleichbaren Arbeitnehmer mit betrieblicher Entwicklung gemäß § 37 Abs. 4 BetrVG der Entgeltstufe 12 angepasst, seine Vergütung betrage daher ab dem 01.10.2002 3.721,00 € (Bl. 55 der erstinstanzlichen Akte). Die Klägerin zahlte seit dem 01.10.2002 auf dieser Grundlage die Vergütung an den Beklagten. Mit Schreiben vom 15.11.2006 (Bl. 354 der erstinstanzlichen Akte) teilte die Kommission dem Beklagten mit identischem Wortlaut mit, dass sein Arbeitsentgelt ab dem 01.12.2006 der Entgeltstufe 13 angepasst werde. Dementsprechend leistete die Klägerin ab dem 01.12.2006 Vergütung an den Beklagten. Mit Schreiben vom 10.11.2008 teilte die Klägerin dem Beklagten mit, die Kommission Betriebsratsvergütung habe sein Arbeitsentgelt entsprechend der mit ihm vergleichbaren Arbeitnehmer mit betriebsüblicher Entwicklung gemäß § 37 Abs. 4 BetrVG angepasst und zum 01.12.2008 nach Entgeltstufe 14 erhöht (Bl. 353 der erstinstanzlichen Akte). Dementsprechend zahlt die Klägerin an den Beklagten anschließend eine Vergütung nach ES 14.
Aufgrund der Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 10.01.2023 - 6 StR 133/22 - sah sich die Klägerin veranlasst, die den freigestellten Betriebsratsmitgliedern gezahlten Vergütungen einer internen Überprüfung zu unterziehen. Sie erachtete danach eine Eingruppierung des Beklagten in ES 13 als zutreffend. Seit Februar 2023 gewährt die Klägerin dem Beklagten ein Gehalt nach Entgeltstufe 13. Die Differenz zwischen den Entgeltstufen ES 13 und ES 14 beträgt Stand Mai 2023 monatlich 298,00 € brutto.
Mit der am 11.05.2023 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage begehrt die Klägerin - soweit für das Berufungsverfahren von Bedeutung - die Feststellung, dass der Beklagte zutreffend in Entgeltgruppe 13 eingruppiert und entsprechend zu vergüten ist. Der Beklagte hat - soweit für das Berufungsverfahren von Bedeutung - die Klägerin widerklagend einerseits auf Zahlung der Differenz zwischen der nach ES 13 geleisteten zu - nach seiner Ansicht - nach ES 14 geschuldeten Vergütung in Anspruch genommen sowie die Feststellung begehrt, dass die Klägerin verpflichtet sei, den Beklagten seit dem 01.02.2023 nach ES 14 zu vergüten nebst Zinsen auf die Differenzbeträge.
Die Klägerin hat erstinstanzlich vorgetragen, angesichts des aus dem U...