Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigung. Betriebsratsmitglied. Zustimmungsersetzung. formelle Rechtskraft. Nichtzulassungsbeschwerde. Keine Kündigung eines Betriebsratsmitglieds vor Rechtskraft einer die Zustimmung des Betriebsrats ersetzenden Entscheidung
Leitsatz (amtlich)
1. Der Arbeitgeber kann einem Betriebsratsmitglied erst dann wirksam eine außerordentliche Kündigung aussprechen, wenn der Beschluss über die Ersetzung der vom Betriebsrat verweigerten Zustimmung (§ 103 Abs. 2 BetrVG) rechtskräftig bzw. unanfechtbar ist. Eine vor diesem Zeitpunkt erklärte Kündigung ist nicht nur schwebend unwirksam, sondern unheilbar nichtig.
2. Die formelle Rechtskraft tritt, sofern die Rechtsbeschwerde gegen den die Zustimmung ersetzenden Beschluss des Landesarbeitsgerichts nicht zugelassen worden ist, mit dem Ablauf der Frist für die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde ein.
3. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur früheren Rechtslage brauchte zwar der Arbeitgeber den Ablauf der Beschwerdefrist nicht abzuwarten, sondern konnte sogleich kündigen, sofern die Rechtsbeschwerde offensichtlich unstatthaft oder unzulässig war. Seit dem 1. Januar 2005 kann die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde aber auch darauf gestützt werden, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung habe. Es kann daher grundsätzlich nicht mehr die sichere Prognose gestellt werden, dass eine Nichtzulassungsbeschwerde unzulässig oder zumindest offensichtlich aussichtslos wäre.
Normenkette
BetrVG § 103; BGB § 626; ArbGG §§ 92a, 72a
Verfahrensgang
ArbG Osnabrück (Urteil vom 25.02.2009; Aktenzeichen 4 Ca 520/08) |
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Osnabrück vom 25. Februar 2009 – 4 Ca 520/08 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen Änderungskündigung.
Der Kläger ist seit 2001 bei der Beklagten als Kommissionierer beschäftigt. Er wurde zuletzt im Lager eingesetzt und hatte im Rahmen seiner Tätigkeit einen Gabelstapler zu fahren. Er ist Mitglied des Betriebsrats.
Nachdem der Kläger mit dem Gabelstapler diverse Unfälle verursacht hatte, beabsichtigte die Beklagte, ihm eine andere Tätigkeit zuzuweisen. Zu diesem Zwecke beantragte sie bei dem Arbeitsgericht, die Zustimmung des Betriebsrates zur außerordentlichen Änderungskündigung des Klägers zu ersetzen. Dem Kläger sollte angeboten werden, künftig als Räumer zu einem geringeren Entgelt tätig zu werden. Das Arbeitsgericht ersetzte die Zustimmung; die dagegen gerichtete Beschwerde des Klägers blieb erfolglos. Der Beschluss des Landesarbeitsgerichts, in welchem die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden war, wurde der Beklagten am 21. Oktober 2008 zugestellt. Bereits am Folgetage sprach die Beklagte die außerordentliche Änderungskündigung aus.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei unwirksam, weil sie vor Rechtskraft der zustimmungsersetzenden Entscheidung erklärt worden sei.
Der Kläger hat beantragt,
- festzustellen, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen im Zusammenhang mit der Änderungskündigung der Beklagten vom 22. Oktober 2008 unwirksam ist,
- für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger bis zur rechtskräftigen Entscheidung über sein Feststellungsbegehren zu den vertragsgemäßen Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, eine Rechtsbeschwerde wäre offensichtlich aussichtslos gewesen, was unter anderem dadurch belegt werde, dass der Kläger eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde nicht erhoben habe. Eine Divergenz der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts zu denjenigen anderer Landesarbeitsgerichte oder des Bundesarbeitsgerichts bestehe nicht. Unter diesen Umständen habe die Kündigung auch schon vor Ablauf der Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde wirksam ausgesprochen werden können.
Das Arbeitsgericht hat dem Feststellungsantrag stattgegeben und den Weiterbeschäftigungsantrag abgewiesen. Es hat ausgeführt, die seit dem Jahre 2005 geltende Rechtslage, nach der die Nichtzulassungsbeschwerde nicht nur auf Divergenz, sondern auch auf weitere rechtliche Gesichtspunkte gestützt werden könne, etwa auf grundsätzliche Bedeutung, komme die offensichtliche Aussichtslosigkeit allenfalls noch in seltenen Ausnahmefällen vor. Ein solcher Ausnahmefall sei hier nicht gegeben.
Gegen das ihr am 3. März 2009 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 23. März 2009 Berufung eingelegt und diese innerhalb der verlängerten Frist am 4. Juni 2009 begründet.
Die Berufung führt aus: Aufgrund der zahlreichen, von ihr im Einzelnen dargelegten Unfälle sei es geboten gewesen, dem Kläger eine andere Arbeit zuzuweisen, da er zum Führen von Staplerfahrzeugen offensichtlich ungeeignet sei. Ein Rechtsmittel gegen den Beschluss des Landesarbeitsgerichts wäre offensichtlich unstatthaft und aussichtslo...