Entscheidungsstichwort (Thema)
anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit. grobfehlerhafte Sozialauswahl
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Beendigungskündigung ist nicht durch dringende betriebliche Erfordernisse i. S. von § 1 KSchG bedingt, wenn die Möglichkeit der Weiterbeschäftigung auf demselben Arbeitsplatz zu einer geringeren Vergütung besteht.
2. Bietet der Arbeitgeber allen Arbeitnehmern die Weiterbeschäftigung zu einer (vorliegend 1/3) geringeren Vergütung an und beschäftigt er nur die Arbeitnehmer weiter, die das Angebot angenommen haben, so umgeht er die ihm obliegende Verpflichtung zum Ausspruch einer Änderungskündigung nach § 2 KSchG, wenn er im Wege einer nachfolgenden unternehmerischen Entscheidung beschließt, einen Teil seiner Arbeiten fremdzuvergeben und den Arbeitnehmern eine Beendigungskündigung ausspricht, die das Angebot abgelehnt haben.
3. Eine Betriebsvereinbarung verstößt gegen § 75 Abs. 11 BetrVG, wenn sie Sonderkündigungsschutz nur zu Gunsten der Arbeitnehmer begründet, die das Angebot des Arbeitgebers zu einer Weiterbeschäftigung zu einer geringeren Vergütung angenommen haben. Eine auf dieser Grundlage getroffene Sozialauswahl ist grobfehlerhaft i. S. von § 1 Abs. 5 KSchG.
Normenkette
KSchG § 1
Verfahrensgang
ArbG Osnabrück (Urteil vom 25.08.2008; Aktenzeichen 6 Ca 85/08) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Osnabrück vom 25.08.2008 – 6 Ca 85/08 – abgeändert:
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 29.01.2008 nicht aufgelöst worden ist.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung.
Die 56 Jahre alte, verheiratete kinderlose Klägerin trat am 01.06.1995 in die Dienste der Beklagten als Hilfskraft im Versand. Die Beklagte betreibt ein Druckzentrum, in dem vorwiegend Presseerzeugnisse der C-Stadt gedruckt und weiterverarbeitet werden. Es ist ein Betriebsrat gebildet. Die Klägerin wurde in der Nachtschicht beschäftigt mit dem Einlegen von Werbedrucksachen und vertretungsweise mit dem Überwachen von Verpackungsmaschinen. Das monatliche Bruttogehalt betrug EUR 3282,00 entsprechend einem Grundstundenlohn von EUR 13,48.
Die Beklagte stand im Frühjahr 2007 vor Investitionsentscheidungen. Die Vornahme der Investitionen wurde u.a. von einer Senkung der Personal- und Lohnkosten abhängig gemacht. Die Beklagte unterbreitete am 05.07.2007 der Klägerin sowie den vergleichbaren Arbeitnehmer/innen das Angebot, das Arbeitsverhältnis mit einer Vergütung von 8,50 EUR brutto pro Stunde fortzusetzen. Sie setzte eine Annahmefrist bis zum 15.07.2007. Die Kägerin nahm das Vertragsangebot nicht an. Von ca. 50 im Arbeitsbereich der Klägerin tätigen Arbeitnehmer/innen nahmen 12 das Angebot an.
Am 16.07.2007 wurde nach Ablauf der Annahmefrist zwischen der Beklagten und dem Betriebsrat ein „Interessenausgleich/Sozialplan bezüglich der Änderung der materiellen Arbeitsbedingungen” vereinbart (Bl. 127 – 131). Dieser Sozialplan sieht für die Mitarbeiter, die das Änderungsangebot angenommen haben, eine stufenweise Absenkung der monatlichen Vergütung in zwei Schritten vor. Unter III.2 enthält die Betriebsvereinbarung nachstehende Regelung:
„Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen
Den Druckern, die von Ziffer 1) erfasst werden, kann bis zum 31.12.2011 keine betriebsbedingte Kündigung ausgesprochen werden. Den übrigen Mitarbeitern, die von Ziffer 1) erfasst werden, kann bis zum 31.12.2010 keine betriebsbedingte Kündigung ausgesprochen werden. Dies gilt nicht bei Widersprüchen gegen den Teilbetriebsübergang nach § 613 a BGB gemäß Vereinbarung Teilbetriebsübergang. Sollten betriebsbedingte Kündigungen in unverzichtbaren Situationen erforderlich werden, können diese nur mit Zustimmung des Betriebsrats ausgesprochen werden. Die Zustimmung des Betriebsrats kann durch eine Einigungsstelle ersetzt werden.”
Die Betriebsparteien vereinbarten ebenfalls am 16.07.2007 einen „Interessenausgleich/Sozialplan bezüglich Kündigungen”. Dort heisst es unter I.1:
„Personalabbau
Das Unternehmen hat mehrere Entscheidungen getroffen, die die Organisationsstruktur ganz erheblich ändern und auch das Entfallen von Arbeitsplätzen zur Konsequenz haben. Insbesondere sind hiervon die Druckhelfer, Überwachung/Bindung, Hausmeister, Reinigung, Einlegerinnen und Lagermitarbeiter betroffen.”
Zur Sozialauswahl bestimmt die Vereinbarung unter I.2.2:
„Die durchzuführende Sozialauswahl erfolgt zwischen den vergleichbaren Arbeitnehmern des Betriebs. Hierfür haben die Betriebspartner Vergleichsgruppen gebildet. Bei der Bildung dieser Vergleichsgruppen haben die Betriebspartner den Kreis der vergleichbaren Arbeitnehmer nach den Aufgabenbereichen, den im Arbeitsvertrag vorbehaltenen Versetzungsmöglichkeiten sowie nach dem Aspekt der Austauschbarkeit gebildet. Insbesondere musste der besondere Kündigungsschutz von Mitarbeitern, die auf Grund der im Interessenausgl...