Entscheidungsstichwort (Thema)

Einschätzungsprärogative der Tarifvertragsparteien bei der Regelung unterschiedlicher Zuschlagssätze für verschiedene Arten der Nachtarbeit

 

Leitsatz (amtlich)

Die Differenzierung zwischen Nachtarbeit von 21.00 bis 6.00 Uhr mit einer Zuschlagshöhe von 50 % und Schichtarbeit von 22:00 Uhr bis 6:00 Uhr mit einer Zuschlagshöhe von 25 % im Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer der obst- und gemüseverarbeitenden Industrie, Fruchtsaftindustrie, Mineralbrunnenindustrie Niedersachsen/Bremen vom 23.08.2005 hält sich unter Berücksichtigung weiterer damit zusammenhängender Tarifregelungen noch im Rahmen der den Tarifvertragsparteien nach Art. 9 Abs. 3 GG zustehenden Einschätzungsprärogative und verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

 

Normenkette

ArbZG § 6 Abs. 5; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 9 Abs. 3; MTV für die obst- und gemüseverarbeitende Industrie, Fruchtsaftindustrie, Mineralbrunnenindustrie Niedersachsen/Bremen § 4 Fassung: 2005-08-23, § Nr. 1c Fassung: 2005-08-23, § 5 Nr. 2b-c und Nr. 3b Fassung: 2005-08-23

 

Verfahrensgang

ArbG Hameln (Entscheidung vom 04.02.2020; Aktenzeichen 1 Ca 241/19)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 13.03.2024; Aktenzeichen 10 AZR 15/21)

 

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgericht Hameln vom 12.12.2019 (1 Ca 241/19) wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Zahlung höherer Zuschläge für Nachtschichtarbeit.

Die Klägerin ist bei der Beklagten als Produktionsmitarbeiterin beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Manteltarifvertrag für die obst- und gemüseverarbeitende Industrie, Fruchtsaftindustrie, Mineralbrunnenindustrie Niedersachsen/Bremen vom 23.08.2005 (Bl. 7 - 28 d. A.; im Folgenden kurz MTV) kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit Anwendung. Darin heißt es - soweit für den vorliegenden Rechtsstreit von Interesse - u. a. wie folgt:

"§ 4

Alters- und Schichtfreizeit

...

2. Schichtfreizeit (Geltung nur für Arbeitnehmer in Unternehmen gem. § 1 Ziff. 2a)

Arbeitnehmer, die ständig im Drei-Schicht-Wechsel arbeiten, erhalten für je 25 geleistete Nachtschichten in diesem System eine Freischicht.

Arbeitnehmer, die im Zwei-Schicht-Wechsel arbeiten, erhalten nach diesem System für je 55 geleistete Spätschichten eine Freischicht.

§ 5

Mehrarbeit, Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit

1. Begriffsbestimmung

...

c) Nachtarbeit

Nachtarbeit ist die in der Zeit von 21.00 Uhr bis 6.00 Uhr geleistete Arbeit, soweit es sich nicht um Schichtarbeit handelt.

...

2. Zuschläge

Für Mehrarbeit, Nachtarbeit, Schichtarbeit in der Nacht, Sonntags- und Feiertagsarbeit sind folgende Zuschläge zu zahlen:

a) Für Mehrarbeit

25%

ab der 3. Mehrarbeitsstunde am Tage

30%

...

b) für Nachtarbeit

50 %

c) für Schichtarbeit von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr

25 %

...

3. Berechnung der Zuschläge

...

b) Beim Zusammentreffen mehrerer Zuschläge ist nur der jeweils höhere zu zahlen.

Hiervon ausgenommen ist der Zuschlag für Schichtarbeit (§ 5 Abs. 2 c). Dieser Zuschlag ist auch bei Zusammentreffen mit anderen Zuschlägen zu zahlen.

§ 14

Ausschlussfrist

Gegenseitige Ansprüche aller Art aus dem Beschäftigungsverhältnis sind innerhalb einer Ausschlussfrist von 3 Monaten ab Entstehen des Anspruches geltend zu machen. (...)

..."

Die Klägerin leistete von Januar bis einschließlich Oktober 2019 im Rahmen eines Drei-Schicht-Wechsel-Systems mehrfach Nachtschichten. Die Beklagte zahlte ihr für diese einen Zuschlag in Höhe von 25 % gemäß § 5 Nr. 2 c MTV.

Mit Schreiben vom 30.04.2019 (Bl. 36 f d. A.) und 31.07.2019 (Bl. 38 d. A.) machte die Klägerin gegenüber der Beklagten erfolglos Nachtschichtzuschläge in Höhe von 50% für die Monate Januar bis incl. Juni 2019 geltend.

Mit der am 07.08.2019 bei dem Arbeitsgericht eingegangenen und am 16.09.2019 sowie 22.11.2019 auf die Monate bis incl. Oktober 2019 erweiterten Klage hat die Klägerin ihr - der Höhe nach unbestritten gebliebenes - Zahlungsbegehren weiterverfolgt.

Die Klägerin hat vorgetragen, der MTV verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, da er ohne sachlichen Grund unterschiedliche Zuschlagshöhen für Nachtarbeit inner- und außerhalb von Schichtsystemen vorsehe. Nach gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen sei Nachtarbeit umso schädlicher, je größer der Umfang sei, in dem sie geleistet werde. Eine möglicherweise vorhandene Planbarkeit von Nachtarbeit, die innerhalb eines Schichtsystems erbracht werde, führe nicht zu geringeren Belastungen der Arbeitnehmer und könne eine Ungleichbehandlung hinsichtlich der Zuschlagshöhe nicht rechtfertigen.

Der gezahlte Nachtzuschlag sei deshalb auf 50 % zu erhöhen.

Die Klägerin hat beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin für den Monat Januar 2019 weitere 4,56 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.12.2019 zu zahlen,

2. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin für den Monat Februar 2019 weitere 147,38 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge