Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch eines im Wechselschichtsystem eingesetzten Arbeitnehmers auf Zahlung der tarifvertraglich vereinbarten Höhe für Nachtarbeitszuschläge. Angemessener Ausgleich für die Belastungen durch regelmäßige Nachtarbeit
Leitsatz (amtlich)
1. Die Tarifvertragsparteien sind im Rahmen ihrer Einschätzungsprärogative nicht gehindert, tatsächliche Unterschiede hinsichtlich der Belastungen durch regelmäßige und unregelmäßige Nachtarbeit anzunehmen. Dabei sind sie nicht auf gesundheitliche Aspekte beschränkt. Diese tatsächlichen Unterschiede vermögen auf der Regelungsebene aufgrund des den Tarifvertragsparteien zukommenden Beurteilungs- und Ermessensspielraums einen auch deutlich höheren Ausgleich für unregelmäßige Nachtarbeit zu rechtfertigen. Dabei hat sich die Prüfung der sachlichen Rechtfertigung der unterschiedlichen Behandlung am aus dem Tarifvertrag erkennbaren Zweck der Leistung zu orientieren (BAG 20. August 2023 - 10 AZR 108/21 - Rn. 58 mwN).
2. Die Regelungen des MTV stellen einen angemessenen Ausgleich für die Belastungen durch regelmäßige Nachtarbeit dar und haben Vorrang vor dem gesetzlichen Ausgleichsanspruch nach § 6 Abs. 5 ArbZG. Die Unterscheidung bei der Zuschlagshöhe für Nachtschichtarbeit in § 5 Nr. 2 Buchst. e MTV einerseits und für unregelmäßige Nachtarbeit in § 5 Nr. 1 Buchst. c iVm. Nr. 2 Buchst. e MTV andererseits verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG.
3. Die in § 5 Nr. 2 Buchst. d und e MTV enthaltene Differenzierung zwischen den Zuschlägen für regelmäßige und unregelmäßige Nachtarbeit verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Es liegen zwar miteinander vergleichbare Arbeitnehmergruppen vor. Allerdings ist die unterschiedliche Behandlung bei den Zuschlägen für regelmäßige und unregelmäßige Nachtarbeit sachlich gerechtfertigt. Mit dem höheren Zuschlag soll, wie die Auslegung der Bestimmungen des MTV ergibt, die schlechtere Planbarkeit unregelmäßiger Nachtarbeit ausgeglichen werden. Dieser erkennbare Wille der Tarifvertragsparteien ist Teil deren ausgeübter Tarifautonomie und genügt als sachlicher Grund.
4. Das Ausmaß der Differenz der Zuschläge für regelmäßige und unregelmäßige Nachtarbeit ist für die Beurteilung, ob ein Sachgrund die unterschiedliche Behandlung trägt, nicht von Bedeutung. Die Tarifautonomie schließt eine Angemessenheitsprüfung insoweit aus.
Normenkette
ArbZG § 6 Abs. 5; GG Art. 3 Abs. 1; TVG § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Lüneburg (Entscheidung vom 24.03.2021; Aktenzeichen 1 Ca 534/19) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Lüneburg vom 24. März 2021 - 1 Ca 534/19 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Höhe tariflicher Nachtarbeitszuschläge.
Der Kläger wird bei der Beklagten in Wechselschicht beschäftigt und leistet dabei auch Nachtschichten. Auf das Arbeitsverhältnis findet aufgrund beiderseitiger Tarifbindung der Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer und Auszubildenden der D. GmbH vom 16. November 2017 (im Folgenden: MTV) Anwendung. Die einschlägigen Tarifnormen lauten:
§ 4 Alters- und Schichtfreizeit
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2. Schichtfreizeit
Arbeitnehmer, die ständig im Drei-Schicht-Wechsel arbeiten, erhalten für je 20 geleistete Nachtschichten in diesem System eine Freischicht. Nachtschichten, die in einem Jahr nicht zu Freischichten führen, weil ihre Summe die Bezugszahl nicht erreicht, werden auf das nächste Kalenderjahr übertragen.
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§ 5 Mehrarbeit, Nacht- und Feiertagsarbeit
1. Begriffsbestimmung
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c) Nachtarbeit
Nachtarbeit ist die in der Zeit von 21.00 Uhr bis 06.00 Uhr geleistete Arbeit, soweit es sich nicht um Schicht- und Nachtschichtarbeit handelt.
d) Schichtarbeit ist die Arbeit in Wechselschicht. Sie muss sich im Rahmen des § 3 auf mindestens eine Woche erstrecken. Nachtschichtarbeit ist die in der Zeit von 22.00 bis 06.00 Uhr geleistete Schichtarbeit.
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2. Zuschläge
Für Mehrarbeit, Nachtarbeit, Schichtarbeit in der Nacht, Sonntags- und Feiertagsarbeit sind folgende Zuschläge zu zahlen:
a) Arbeitszeiten, die über die regelmäßigen Schichtzeiten (Durchschnitt 38 h/Woche) hinausgehen, werden mit dem individuellen Stundenentgelt vergütet
b) Der Mehrarbeitszuschlag beträgt ab der ersten Stunde 25%, ab der 3. Stunde täglich 40%.
Mehrarbeitszuschläge werden auf Wunsch des Arbeitnehmers ausbezahlt.
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d) für Nachtarbeit 50 %
e) für Nachtschichtarbeit von 22.00 Uhr bis 24.00 Uhr 20%
von 00.00 Uhr bis 04.00 Uhr 40%
von 04.00 Uhr bis 06.00 Uhr 20%
f) für Arbeit an Sonntagen 80 %
g) für Arbeit an gesetzlichen Feiertagen, wenn sie auf einen Sonntag fallen sowie am Oster- und Pfingstsonntag 160 %
h) für Arbeit an gesetzlichen lohnfortzahlungspflichtigen Feiertagen, die auf einen Werktag fallen 160 %
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3. Berechnung der Zuschläge
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b) Beim Zusammentreffen mehrerer Zuschläge ist nur der jeweils höhere zu zahlen. Hiervon ausgenommen ist der Zuschlag für Schichtarbeit (§ 5 Abs. 2b und d). Dieser Zuschlag ist auch bei Zusammentreffen mit anderen Zu...