Entscheidungsstichwort (Thema)
AGB. Arbeit auf Abruf. Zum Begriff der gesetzlichen Vorschriften i. S. v. § 306 II BGB und zur Vereinbarkeit von Abrufarbeit in einem Formulararbeitsvertrag
Leitsatz (amtlich)
1) Treffen die Parteien im Arbeitsvertrag keine Regelung zur Dauer der Arbeitszeit richtet sich diese nach der betriebs- bzw. branchenüblichen Regelarbeitszeit und der gelebten Vertragspraxis
2) Vereinbaren die Parteien in einem Formularvertrag Arbeit auf Abruf ohne Mindestarbeitszeit, so verstößt dies gegen § 307 Abs. (1) und (2) BGB
3) Zu den gesetzlichen Vorschriften i.S.d. § 306 (2) BGB gehören auch tarifvertragliche Normen.
Normenkette
BGB §§ 307, 306
Verfahrensgang
ArbG Hannover (Entscheidung vom 21.02.2006; Aktenzeichen 7 Ca 488/05) |
Nachgehend
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.184,67 EUR brutto nebst 5 %-Punkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 15.01.2006 zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass die regelmäßige durchschnittliche Arbeitszeit des Klägers 40 Stunden pro Woche beträgt.
3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die regelmäßige Arbeitszeit des Klägers und um Vergütungsansprüche.
Der Kläger ist seit dem 22.10.2002 auf der Grundlage des Arbeitsvertrages vom 18.10.2002, wegen dessen genauen Wortlauts auf die Anlage K 1 zur Klageschrift (Bl. 7 bis 15 d. A.) verwiesen wird, als Mitarbeiter der Fluggastkontrolle beschäftigt. Die Beklagte betreibt ein Unternehmen des Wach- und Sicherheitsgewerbes. Sie erledigt im Auftrag der Bundespolizei (früher Bundesgrenzschutz) Fluggastkontrollen an verschiedenen Flughäfen in der Bundesrepublik u. a. am Flughafen B-Stadt, wo der Kläger tätig ist.
Zwischen den Parteien ist streitig, in welchem zeitlichen Umfang die Beschäftigung des Klägers zu erfolgen hat.
In § 3 des Arbeitsvertrages heißt es unter der Überschrift „Arbeitsort und Arbeitszeit” soweit hier von Interesse auszugsweise wörtlich:
„II.
Beginn und Ende der Arbeitszeit und der Pausen richten sich nach den betrieblichen Bedürfnissen und werden von der Schichtleitung festgelegt.”
III.
Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, Sonntags- Feiertags- Mehr und Überarbeit zu leisten, soweit dies gesetzlich zulässig ist.
IV.
Die Firma erstellt einen Arbeitsplan, in dem die Arbeitseinteilung für die nachfolgenden zwei Wochen festgelegt wird.”
In § 4 heißt es unter der Überschrift „Vergütung” auszugsweise wörtlich:
„IV.
Die Abrechnung erfolgt in der Weise, dass die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers monatlich nachträglich auf einer Grundlage von 150 Arbeitsstunden berechnet wird.
Tatsächliche Mehr- oder Minderleistungen, sowie ggf. angefallene Zuschläge, Abzüge, Krankenvergütung usw. werden jeweils erst in der Abrechnung des Folgemonats als gesonderte Abrechnungsposten neben dem auf der Grundlage der Abrechnungsgröße gem. Absatz IV errechneten Lohn berücksichtigt.
Die Zahl gemäß Absatz IV ist eine technische Abrechnungsgröße. Sie definiert weder den Umfang der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung, der vertraglich geschuldeten Vergütung, noch die betriebsübliche Arbeitszeit. Insoweit bleibt es bei der bisher geltenden und praktizierten Regelung.”
In § 16 heißt es unter der Überschrift „Schlussbedingungen” wörtlich:
„I. Ergänzungen und Änderungen dieses Vertrages bedürfen der Schriftform. Dies gilt auch für diesen Absatz.
II. Mündliche Nebenabreden sind nicht getroffen.
III.Sollte eine Bestimmung dieses Vertrages ungültig sein oder werden, so wird die Gültigkeit des Vertrages im übrigen dadurch nicht berührt.”
In dem allgemeinverbindlichen Manteltarifvertrag für das Wach- und Sicherheitsgewerbe im Land Niedersachsen vom 6.3.1997 (AVE seit dem 30.9.1997 – 31.10.2003) hieß es unter der Überschrift „Arbeitszeit” in § 6 Ziff.1 wörtlich:
„Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit beträgt grundsätzlich 40 Stunden. Dies gilt nicht für Teilzeitkräfte.”
Die Beklagte vereinbarte mit der Branchengewerkschaft ver.di am 23.01.2004 eine ab dem 01.01.2004 geltenden Manteltarifvertrag (Firmentarifvertrag/künftig: MTV-…). In § 7 Abs. 1 dieses Tarifvertrags heißt es in Absatz 1 auszugsweise wörtlich:
„Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit beträgt ausschließlich der Pausen durchschnittlich 40 Stunden wöchentlich.”
Im Jahr 2004 vergütete die Beklagte insgesamt 2.130,74 Stunden und im Jahr 2005 1.971,97 Stunden.
Wegen des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien wird im übrigen auf den Tatbestand des angegriffenen Urteils Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 21.02.2006 auf die am 10.10.2005 beim Arbeitsgericht eingegangene und der Beklagten unter dem 19.10.2005 zugestellte Klage die Beklagte verurteilt, ab dem 01.01.2006 die Abrechnung und Auszahlung auf der Basis von zunächst jeweils 150 Arbeitsstunden vorzunehmen, soweit der Kläger für den jeweiligen Monat einen Anspruch auf Arbeitsentgelt hat, im übrigen die Klage abgewiesen, die Kosten des Rechtsstreits zu 85 % dem Kläger und zu 15...