Entscheidungsstichwort (Thema)
Formale Anforderungen an die Stellung eines Gleichstellungsantrags
Leitsatz (amtlich)
Die vom BAG als Vorfrist verstandene Frist von 3 Wochen gem. § 90 Abs. 2 a, § 69 Abs. 1 Satz 2 SGB IX wird auch durch die mündliche bzw. telefonische Stellung eines Gleichstellungsantrags gewahrt.
Normenkette
SGB I § 16; SGB IX § 2 Abs. 3, § 60 Abs. 1, § 69 Abs. 1 S. 2, §§ 85, 90 Abs. 2a
Verfahrensgang
ArbG Braunschweig (Entscheidung vom 31.01.2018; Aktenzeichen 4 Ca 136/17) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 31.01.2018 - 4 Ca 136/17 - abgeändert.
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 30.03.2017 aufgelöst worden ist.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer krankheitsbedingten Kündigung.
Wegen des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht Braunschweig hat mit Urteil vom 31.01.2018 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Kündigung sei nicht nach § 85 i. V. m. § 68 Abs. 1, § 2 Abs. 3 SGB IX unwirksam. Die Beklagte sei nicht verpflichtet gewesen, vor Ausspruch der Kündigung die Zustimmung des Integrationsamts einzuholen. Gemäß § 90 Abs. 2a SGB IX finde das Zustimmungserfordernis des § 85 SGB IX keine Anwendung, wenn zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch nicht nachgewiesen ist oder das Versorgungsamt nach Ablauf der Frist des § 69 Abs. 1 Satz 2 eine Feststellung wegen fehlender Mitwirkung nicht treffen konnte. § 90 Abs. 2a SGB IX gelte nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auch für gleichgestellte Arbeitnehmer. Die Voraussetzungen von § 90 Abs. 2 a Alternative 1 SGB IX seien nicht gegeben, weil der Kläger den Gleichstellungsantrag nicht mindestens drei Wochen vor der Kündigung gestellt habe. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts habe die Vorschrift den Charakter einer Vorfrist. Da der Kläger zwar seinen Gleichstellungsantrag am 06.03.2017 telefonisch gestellt habe, die zur ordnungsgemäßen Bearbeitung des Antrags erforderlichen Unterlagen der Bundesagentur für Arbeit erst am 13.03.2017 zugegangen sein, habe der Kläger die dreiwöchige Vorfrist nicht gewahrt. Er könne sich daher auf den Sonderkündigungsschutz nicht berufen.
Die Kündigung sei auch nicht nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam. Die Beklagte habe den Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigung ordnungsgemäß unterrichtet. Die Kammer halte die Darlegung der Betriebsratsanhörung durch eine Bezugnahme auf das Anhörungsschreiben vom 22.03.2017 für zulässig. In dem Anhörungsschreiben vom 22.03.2017 seien die Sozialdaten des Klägers vollständig und zutreffend wiedergegeben. Das schließe insbesondere den Hinweis auf den vom Kläger gestellten Gleichstellungsantrag sein. Dem Betriebsrat seien als Anlagen auch die arbeitsmedizinischen Stellungnahmen und der Reha-Bericht zugänglich gemacht worden.
Die Kündigung sei auch aus Gründen der Person des Klägers sozial gerechtfertigt im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG. Der Kläger könne seine vertraglich geschuldete Tätigkeit aus krankheitsbedingten Gründen dauerhaft nicht mehr erbringen. Es bestünden keine milderen Mittel, um der bestehenden Vertragsstörung angemessen zu begegnen. Die in der Entlassungsdiagnose vom 20.12.2016 aufgeführten Diagnosen würden durch das Gutachten des Dr. K. vom 28.07.2017, das im Rahmen der nachfolgenden Kündigung eingeholt wurde, bestätigt. Selbst der Kläger räume ein, dass er nicht mehr sämtliche Tätigkeiten am Arbeitsplatz des Einrichters erledigen könne, sondern lediglich Teilaufgaben.
Nach Auffassung der Kammer könne dahin gestellt bleiben, ob die Beklagte ein BEM ordnungsgemäß durchgeführt habe. Jedenfalls habe die Beklagte ihre aus einer nicht ordnungsgemäßen Durchführung eines BEM resultierende erhöhte Darlegungslast erfüllt. Zur Überzeugung der Kammer stehe fest, dass eine leidensgerechte Beschäftigungsmöglichkeit für den Kläger nicht bestehe. Aus dem Gutachten gehe hervor, dass Herr Dr. K.am 21.07.2017 selbst eine Arbeitsplatzbesichtigung vorgenommen habe. Der Kläger habe nicht konkret aufzeigen können, dass der Gutachter die Arbeitsplätze falsch dargestellt oder bewertet habe, noch dass die Feststellung zum Restleistungsvermögen des Klägers in irgendeiner Weise fehlerhaft sein. Zu dem beziehe sich das Gutachten auch ausdrücklich auf die Beschäftigungsbereiche, in denen der Kläger für sich eine leidensgerechte Beschäftigung reklamiert habe, nämlich Einrichter, Werkstatt und Lager/Magazin.
Bezüglich einzelner Beschäftigungsmöglichkeiten gelte: Der Arbeitsplatz des am 28.11.2017 verstorbenen Mitarbeiters Herrn J. sei im Kündigungszeitpunkt nicht frei gewesen, zudem sei Herr J. als Einrichter beschäftigt gewesen.
Die Stelle des Leiters des Magazins, Herrn W. sei ersatzlos gestrichen worden. Es ...