Entscheidungsstichwort (Thema)

Eingliederungsmanagement, betriebliches. Krankheit. Kündigung. Personenbedingte Kündigung. Krankheit von nicht absehbarer Dauer

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ob der Arbeitgeber ein nach Maßgabe des § 84 Abs. 2 SGB IX erforderliches betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) durchgeführt hat, ist für die Anforderungen an die Darlegungs- und Beweilast des Arbeitgebers erheblich.

2. Hat der Arbeitgeber entgegen § 84 Abs. 2 SGB IX kein BEM durchgeführt, darf er sich durch seine dem Gesetz widersprechende Untätigkeit keine darlegungs- und beweisrechtlichen Vorteile verschaffen. Er darf sich nicht darauf beschränken, pauschal vorzutragen, er kenne keine alternativen Einsatzmöglichkeiten für den erkrankten Arbeitnehmer bzw. es gebe keine freien Arbeitsplätze, die der erkrankte Arbeitnehmer aufgrund seiner Erkrankung noch ausfüllen könne. Es bedarf dann vielmehr eines umfassenderen konkreten Sachvortrags des Arbeitgebers zu einem nicht mehr möglichen Einsatz des Arbeitnehmers auf dem bisher innegehabten Arbeitsplatz einerseits und warum andererseits eine leidensgerechte Anpassung und Veränderung ausgeschlossen ist oder der Arbeitnehmer nicht auf einem (alternativen) anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit eingesetzt werden kann

 

Normenkette

BetrVG § 102; KSchG § 1 Abs. 1-2; SGB IX § 2 Abs. 3, § 68 Abs. 1-3, §§ 85, 90 Abs. 2a

 

Verfahrensgang

ArbG Koblenz (Urteil vom 23.07.2008; Aktenzeichen 4 Ca 2857/07)

 

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 23.07.2008, Az.: 4 Ca 2857/07 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten im Berufungsverfahren noch darüber, ob ihr Arbeitsverhältnis durch die aus Gründen der Krankheit erfolgte Kündigung der Beklagten vom 07.11.2007 zum 31.05.2008 seine Beendigung gefunden hat. Der Kläger war als Maschinenführer tätig. Er ist seit dem 22.02.2006 ununterbrochen arbeitsunfähig erkrankt. Der Kläger leidet u.a. an epileptischen Anfällen und benötigt aufgrund seiner Erkrankung ständige Begleitung, kann keine körperlich anstrengenden schweren Arbeiten verrichten, insbesondere nicht Heben und muss nervliche Belastungen vermeiden. Im Übrigen wird von einer wiederholenden Darstellung des unstreitigen Sachverhalts und des streitigen Vorbringens der Parteien erster Instanz abgesehen und stattdessen gem. § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug genommen auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Koblenz vom 23.07.2008, Az.: 4 Ca 2857/07 (Bl. 210 ff. d. A.).

Durch das genannte Urteil hat das Arbeitsgericht u.a. die gegen die oben genannte Kündigung gerichtete Kündigungsschutzklage abgewiesen und soweit für das Berufungsverfahren von Interesse zur Begründung im Wesentlichen und zusammengefasst ausgeführt:

Die streitgegenständliche Kündigung habe nicht der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes bedurft. Zum Kündigungszeitpunkt sei eine das Zustimmungserfordernis des Integrationsamtes begründende Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers noch nicht nach § 69 SGB IX festgestellt worden. Der Kläger könne sich auch nicht auf den besonderen Kündigungsschutz des § 85 SGB IX wegen rechtzeitiger Beantragung seiner Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen berufen. Soweit der Kläger behauptet habe, er habe bereits im August 2007 einen Antrag auf Gleichstellung bei der Arbeitsagentur M. gestellt, erscheine dies zum einen deshalb nicht plausibel, weil dann ein vom Kläger unstreitig gestellter neuerlicher Antrag vom 05.12.2007 entbehrlich gewesen wäre. Jedenfalls aber habe der Kläger nicht ausreichend substantiiert die näheren Einzelheiten der behaupteten Antragstellung im August 2007 dargelegt.

Die Kündigung sei auch nicht nach § 102 Abs. 1 BetrVG rechtsunwirksam. Durch das Anhörungsschreiben vom 31.10.2007 (Bl. 87 f. d. A.) habe die Beklagte ihre Unterrichtigungspflichten gegenüber dem Betriebsrat erfüllt. Der Kläger seinerseits sei dem nicht mehr ausreichend entgegengetreten.

Die Kündigung sei auch im Sinne des § 1 KSchG sozial gerechtfertigt. Es sei von einer negativen Zukunftsprognose hinsichtlich des voraussichtlichen künftigen Gesundheitszustandes des Klägers auszugehen. Diese sei gerechtfertigt, da der Kläger bereits seit dem 22.05.2006 ununterbrochen arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei und unstreitig in absehbarer Zeit nicht mehr mit der Wiederherstellung seiner Arbeitsfähigkeit für seine bisherige Tätigkeit als Maschinenführer gerechnet werden könne. Deshalb sei auch von einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen auszugehen. Ein Ausnahmefall, der zur Unverhältnismäßigkeit der Kündigung führe, liege nicht vor. Es könne dahin gestellt bleiben, ob es die Beklagte unterlassen habe, vor Kündigungsausspruch das nach § 84 SGB IX erforderliche betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) durchzuführen oder aber der Kläger – wie von der Beklagten behauptet – seine hierbei nötige Mitarbeit verweigert habe. Die Beklagte habe jedenfalls ausreichend dargelegt, dass s...

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