Entscheidungsstichwort (Thema)
Massenentlassungsanzeige
Leitsatz (redaktionell)
1. Die im Stadium der vorläufigen Insolvenzverwaltung erstattete Anzeige ist nicht wegen fehlender Vertretungsmacht unwirksam. Selbst wenn der vorläufige Insolvenzverwalter ohne Vertretungsmacht gehandelt hat, hätte er dieses Handeln mit Bestellung zum Insolvenzverwalter am Folgetag konkludent genehmigt, nämlich durch Vollzug der Massenentlassungsanzeige und Ausspruch der Kündigungen.
2. Wird in der Massenentlassungsanzeige das Vorhandensein des Betriebsrats verneint, obwohl ein solcher gebildet ist und unterbleibt die Beifügung der Stellungnahme des Betriebsrats, so ist die Massenentlassungsanzeige nicht ordnungsgemäß erfolgt.
Normenkette
KSchG §§ 1, 17
Verfahrensgang
ArbG Braunschweig (Urteil vom 16.02.2010; Aktenzeichen 5 Ca 19/08) |
Nachgehend
BAG (Aktenzeichen 6 AZR 10/11) |
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 16.02.2010, 5 Ca 19/08, wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Beklagte.
Der Wert des Streitgegenstandes für das Berufungsverfahren wird auf 8.806,77 EUR festgesetzt.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis durch Kündigung des beklagten Insolvenzverwalters vom 28.12.2007 zum 31.03.2008 nicht aufgelöst worden ist. Die Parteien streiten darüber, ob vor Ausspruch der Kündigung eine ordnungsgemäße Massenentlassungsanzeige an die Agentur für Arbeit erfolgt ist.
Die Klägerin war seit 1976 als Krankenschwester der Schuldnerin beschäftigt, dass Bruttomonatsentgelt betrug 2.935,59 EUR. Im Betrieb war ein Betriebsrat gewählt. Mit Beschluss vom 19.10.2007 wurde der Beklagte zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt ohne Einräumung der Verfügungsbefugnis über das Vermögen der Schuldnerin. Insolvenzeröffnung und Bestellung des Beklagten zum Insolvenzverwalter erfolgte mit Beschluss vom 28.12.2007, 9:15 Uhr. Der Beklagte ist Partner der Anwaltsgesellschaft A..
Die Klinik wird vom Beklagten nicht weiter betrieben. Neben der Kündigung der Klägerin mit Schreiben vom 28.12.2007, zugegangen am 29.12.2007, ist auch allen anderen Beschäftigten gekündigt worden.
Unter dem Datum vom 27.12.2007 ist eine Massenentlassungsanzeige erstellt worden, in der unter 15 auf Seite 1 das Vorhandensein eines Betriebsrates mit nein angekreuzt ist und in der auf Seite 2 unter 5 Fragen zur Stellungnahme des Betriebsrates nicht mit ja oder nein beantwortet sind, vielmehr sind die Rubriken zur Beantwortung insgesamt durchgestrichen. Beigefügt war eine Namensliste. Eine Stellungnahme des Betriebsrates, auch ein Entwurf der Betriebsvereinbarung über Interessenausgleich und Sozialplan, war unstreitig nicht beigefügt. Die Massenentlassungsanzeige ist am 27.12.2007 gegen 14:47 Uhr per Fax übermittelt worden. Das Unterschriftsfeld ist mit dem Stempel des Anwaltsbüros A. und Partner versehen und trägt die Unterschrift der Angestellten B.. Frau B. ist Mitarbeiterin der Insolvenzabteilung des Büros und zuständig für Personalangelegenheiten in Insolvenzverfahren. Auf den Inhalt der Massenentlassungsanzeige, Blatt 250 ff. d. A. wird Bezug genommen.
Die Klägerin hatte gemäß § 613 a BGB Fortbestand des Arbeitsverhältnisses zu einem kommunalen Krankenhausträger geltend gemacht. Mit gerichtlichem Vergleich vom 11.03.2009 vereinbarten die Klägerin und der kommunale Krankenhausträger, dass das Arbeitsverhältnis nicht übergegangen sei und die Klägerin eine Entschädigung von 4.500,00 EUR erhalte.
Es besteht eine Betriebsvereinbarung über den Interessenausgleich und Sozialplan, datiert auf den 28.12.2007 und unterzeichnet vom Beklagten und der Betriebsratsvorsitzenden. Unter IV. ist vereinbart:
Die Parteien sind sich darüber einig, dass dieser Interessenausgleich zugleich sowohl die Mitteilung an den Betriebsrat nach § 17 Abs. 2 KSchG als auch die diesbezügliche Stellungnahme des Betriebsrats nach § 17 Abs. 3 S. 2 KSchG darstellen.
In gleicher Weise sind sich die Parteien darüber einig, dass das Anhörungsverfahren nach §§ 102 ff. BetrVG nicht gesondert, sondern im Rahmen der vorliegenden Interessenausgleichsverhandlungen durchgeführt wird. Der Betriebsrat erklärt ausdrücklich, zu den Kündigungen angehört worden zu sein. Seine Beschlussfassung ist abgeschlossen. Er erklärt, dass er den Kündigungen nicht widerspricht.
Nach Darstellung des Beklagten ist der endverhandelte Interessenausgleich und Sozialplan mit Unterschrift der Betriebsratsvorsitzenden am 27.12.2007 per Fax bei ihm eingegangen und sei sodann am Folgetag nach Insolvenzeröffnung vom ihm unterschrieben worden.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei unwirksam, weil eine ordnungsgemäße Massenentlassungsanzeige nicht vorliege. Am 27.12.2007 habe der Beklagte als vorläufiger Insolvenzverwalter gehandelt ohne dass ihm eine entsprechende Verfügungsbefugnis übertragen worden sei. Die Anzeige sei auch fehlerhaft, weil angegeben sei, dass ein Betriebsrat nicht vorhanden sei.
Die Kl...