Entscheidungsstichwort (Thema)
Unmittelbarer Anspruch des Betriebsratsmitglieds auf eine bestimmte Vergütung. Zahlung einer geringeren Vergütung als Benachteiligung des Betriebsratsmitglieds wegen seiner Betriebsratstätigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Aus § 78 Satz 2 BetrVG kann sich iVm. § 611a Abs. 2 BGB ein unmittelbarer Anspruch des Betriebsratsmitglieds auf eine bestimmte Vergütung ergeben, wenn sich die Zahlung einer geringeren Vergütung als Benachteiligung des Betriebsratsmitglieds wegen seiner Betriebsratstätigkeit darstellt. § 37 Abs. 4 BetrVG ist keine abschließende Regelung über die Höhe des Arbeitsentgelts des Amtsträgers.
2. Ein Betriebsratsmitglied, das nur infolge der Amtsübernahme nicht in eine Position mit höherer Vergütung aufgestiegen ist, kann den Arbeitgeber unmittelbar auf Zahlung der höheren Vergütung in Anspruch nehmen. Ein Anspruch aus § 78 Satz 2 BetrVG setzt allerdings voraus, dass dem Betriebsratsmitglied der Nachweis gelingt, dass es ohne seine Tätigkeit als Mitglied des Betriebsrats inzwischen mit einer Aufgabe betraut worden wäre, die ihm den Anspruch auf das begehrte Arbeitsentgelt geben würde.
3. Nach dem Beibringungsgrundsatz darf das Gericht seiner Entscheidung nur die Tatsachen zugrunde legen, die die Parteien vorgetragen haben. Übereinstimmend Vorgetragenes und Zugestandenes ist grundsätzlich ohne Beweisaufnahme zu übernehmen, §§ 138 III, 288 ZPO.
Normenkette
BetrVG § 37 Abs. 4, § 78 S. 2; BGB § 611a Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Braunschweig (Entscheidung vom 22.08.2023; Aktenzeichen 2 Ca 115/23) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts vom 22. August 2023 - 2 Ca 115/23 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 99.512,- € festgesetzt.
Tatbestand
Die Parteien streiten um Vergütungsansprüche des Klägers als freigestelltes Betriebsratsmitglied.
Der am 00.00.0000 geborene Kläger ist seit 1. September 1988 bei der Beklagten beschäftigt. Seit dem 2. Mai 2006 ist er freigestelltes Betriebsratsmitglied des bei der Beklagten, einem Unternehmen der Automobilindustrie, gebildeten Betriebsrats am Standort.
Der Kläger ist gelernter Industriemechaniker, Fachrichtung Maschinen- und Systemtechnik. Vor Übernahme des Betriebsratsamtes war er nach Abschluss einer Weiterbildung zum Personalfachkaufmann zuletzt seit 1995 als Verkaufssachbearbeiter bei der GmbH & Co OHG in der Abteilung "Zentrale Auftragsabwicklung Fahrzeuge" tätig. Bei der Wahl in den Betriebsrat war der Kläger vergütet nach der Entgeltstufe 18 des bei der Beklagten geltenden tarifvertraglichen Vergütungssystems.
Bei der Beklagten finden unternehmensinterne Regelungen zu Betriebsratsvergütung Anwendung, eine Gesamtbetriebsvereinbarung Nr. 08/20 ("GBV-Vergütung") und eine dazugehörige interne Durchführungsanweisung ("DA-Vergütung").
Bei der Beklagten durchlaufen Mitarbeiter, die erstmalig Führungsaufgaben/Personalverantwortung übernehmen sollen, einen Ernennungsprozess, an dessen Abschluss der Erwerb der sogenannten Führungslizenz steht. Erforderlich ist die Teilnahme an Lernmodulen zur sogenannten "Führungskräfte-Basis-Qualifizierung" und das Ablegen einer Prüfung zum Erwerb der Lizenz. Der Ernennungsprozess ist unabhängig von einer Zugehörigkeit zu einem bestimmten Beschäftigtenkreis. Der Kläger erwarb bei der Beklagten im Jahr 2013 eine Führungslizenz.
Nach Erwerb der Führungslizenz durch den Kläger schlossen die Parteien mit Wirkung zum 1. Juli 2014 eine Vereinbarung dahingehend, dass sich das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nach den bei der Beklagten anwendbaren Tarifregelungen für Beschäftigte mit Spezialisten- oder Führungsfunktion (im Folgenden: Tarif-Plus) richten sollte. Die Beklagte ging dabei davon aus, dass sich der Kläger hypothetisch in den Bereich Tarif-Plus entwickelt hätte, wenn er nicht sein Amt als Betriebsrat übernommen hätte.
Seit dem 1. Juli 2016 war der Kläger in der Entgeltgruppe II des Tarif-Plus eingestuft. Zuletzt betrug das monatliche Einkommen des Klägers nach der Entgeltgruppe II Tarif-Plus 8.142,50 Euro. Zudem erhielt er zur auch privaten Nutzung ein Geschäftsfahrzeug, dessen geldwerter Vorteil ausgehend von 1 % des Bruttolistenpreises von 47.200,00 Euro mit 472,00 Euro monatlich (bei einem Eigenanteil i.H.v. 236,00 Euro) zu bemessen ist.
Im Jahr 2016 trat der Mitarbeiter der Beklagten, Herr F, an den Kläger heran mit der Frage, ob er die Stelle als Leiter Kundencenter übernehmen wolle. Es handelte sich dabei um eine Unterabteilungsleiterstelle mit 38 direkten Mitarbeitern. Einen weiteren Kandidaten oder eine unternehmensinterne Stellenausschreibung gab es nicht, denn der Kläger war nach Ansicht von Herrn F der einzig geeignete Kandidat. Dieses Angebot lehnte der Kläger ab, weil er seinem Betriebsratsamt den Vorzug einräumen wollte. Nach dem Vortrag der Beklagten in der Kammerverhandlung vor dem Arbeitsgericht am 22. August 2023 war die angebotenen Stelle in die Entgeltgruppe I Tarif-Plus eingruppiert...