Entscheidungsstichwort (Thema)
Forderung
Leitsatz (amtlich)
1. Eine kollektive kurzfristige Arbeitsniederlegung in einem konkreten Betrieb stellt nur dann einen rechtmäßigen Warnstreik dar, wenn ein die konkrete Arbeitsniederlegung umfassender gewerkschaftlicher Streikbeschluß vorliegt und der Geltungsbereich des Streikbeschlusses gegenüber der Arbeitgeberseite verlautbart wird.
2. Es bleibt unentschieden, ob die Verlautbarung im Rahmen einer abzugebenden Willenserklärung (oder einer geschäftsähnlichen Handlung), ob sie durch die Gewerkschaft (oder die streikenden Arbeitnehmer) und ob sie – bei einer Auseinandersetzung um einen Verbandstarifvertrag – an den gegnerischen Arbeitgeberverband (oder den bestreikten Arbeitgeber) zu erfolgen hat.
Die Kammer neigt zu der Auffassung, daß die Verlautbarung von der Gewerkschaft auszugehen hat und im Rahmen einer Willenserklärung abzugeben ist. Mit dieser Willenserklärung werden – sofern die sonstigen Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen vorliegen – die Arbeitsverträge jener beim konkreten Arbeitgeber beschäftigten Arbeitnehmer suspendiert, die sich am Streik beteiligen; die von der Gewerkschaft abzugebende, auf Suspendierung der Hauptpflichten gerichtete Willenserklärung ergeht somit unter der aufschiebenden Bedingung der Streikbeteiligung der einzelnen Arbeitnehmer.
3. Nach Durchführung eines rechtswidrigen Warnstreiks um einen Verbandstarifvertrag kann der bestreikte Arbeitgeber ohne Beteiligung des Arbeitgeberverbandes aussperren.
Verfahrensgang
ArbG Bayreuth (Urteil vom 19.05.1993; Aktenzeichen 3 Ca 1248/92 H) |
Nachgehend
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts Bayreuth vom 19.05.1993 – 3 Ca 1248/92 H – wird auf Kosten des Berufungsführers zurückgewiesen.
2. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um Zahlungsverpflichtungen der Beklagten anläßlich einer betrieblichen Aussperrung.
Der Kläger ist seit 1955 bei der Beklagten als Flaschner beschäftigt. Sein Stundenlohn beträgt DM 18,76. Der Kläger ist Mitglied der Gewerkschaft Textil-Bekleidung (GTB). Die Beklagte war 1992 Mitglied des Verbandes der nordbayerischen Textilindustrie e.V. Im Mai 1992 kam es im Tarifbezirk Nordbayern zwischen den genannten Verbänden zu Verhandlungen wegen des Abschlusses eines Verbandstarifvertrages. Am 25.05.1992 erklärte die GTB den Abbruch der Verhandlungen. Am 26.05.1992 um 05.00 Uhr wurde im Betrieb der Beklagten ein Flugblatt mit folgendem Inhalt verteilt:
„Aufruf
zum
Warnstreik
heute: 13.00–14.00 Uhr
Kollegin, Kollege!
Abbruch
der Verhandlungen
Jetzt bist Du gefordert!!
Das Unternehmer-Verhalten ist verantwortungslos und unsozial!
Wir lassen uns nicht an der Nase herumführen!
Wir wollen ernst genommen werden!
Neues Angebot der Arbeitgeber – weiterhin unzureichend!
EIN BILLIG-ABSCHLUSS
LÄUFT MIT UNS NICHT!
– Arbeitgeber wollen uns mit ihrem Angebot an das Ende der Lohnskala drücken.
GTB
Gewerkschaft Textil-Bekleidung
Verwaltungsstelle Hof-Münchberg-Naila”
Die Angabe der Zeit „13.00–14.00 Uhr” erfolgte handschriftlich, der übrige Text ist gedruckt. Der Kläger beteiligte Sich an diesem Warnstreik. Als er und weitere 88 Arbeitnehmer, die am Warnstreik teilgenommen hatten, am 27.05.1994 ihre Arbeit aufnehmen wollten, wurden sie von der Beklagten für die Zeit von 5.00 Uhr bis 6.00 Uhr ausgesperrt. Bereits am 25.05.1992 hatte der zuständige Ausschuß des Arbeitgeberverbandes Warnaus Sperrungen beschlossen und die einzelnen Mitglieder ermächtigt, die hierzu notwendigen Maßnahmen durchzuführen. Auf diesen Beschluß sind vor und während der Aussperrung weder die GTB noch die ausgesperrten Arbeitnehmer hingewiesen worden. Die Beklagte verweigerte die Lohnzahlung für den Zeitraum der Aussperrung in Höhe von DM 18,76 brutto.
Mit der am 10.12.1992 beim Arbeitsgericht Bayreuth eingegangenen Klage hat der Kläger den Lohn für den Zeitraum der Aussperrung geltend gemacht. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, ihm stünde der Klagebetrag zu, da die Aussperrung rechtswidrig gewesen sei. Die Rechtswidrigkeit der Aussperrung ergebe sich daraus, daß es die Beklagte versäumt habe, vor der Aussperrung die GTB über den bestehenden Aussperrungsbeschluß des Arbeitgeberverbandes zu informieren. Während die Beklagte durch den Flugblattaufruf der GTB unschwer habe erkennen können, daß es sich bei dem Warnstreik um einen von der Gewerkschaft getragenen Streik gehandelt habe, sei Entsprechendes bei der Aussperrung nicht klar gewesen. Somit habe es sich um eine unzulässige „wilde Aussperrung” gehandelt, so daß die Beklagte verpflichtet sei, den dem Kläger für den Zeitraum von 22.00 Uhr bis 23.00 Uhr zustehenden Lohn aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs zu zahlen.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger DM 18,76 brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit Klagezustellung zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Meinung vertreten, daß dem Kläger für de...