Entscheidungsstichwort (Thema)
Versetzung. Wirksamkeitsvoraussetzung. Direktionsrecht. Versetzungsklausel. Verwirkung
Leitsatz (amtlich)
1. Nach der „Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung” braucht der Arbeitnehmer einer Versetzungsanordnung – hier: Versetzung auf Dauer in eine andere, etliche Kilometer entfernte Filale eines Einzelhandelsbetriebes – nicht nachzukommen, wenn und solange der für beide Filialen gebildete Betriebsrat dieser Zuweisung eines anderen Arbeitsbereiches nicht zugestimmt hat.
2. Stimmt der Betriebsrat der Versetzung nachträglich zu – hier: wenige Tage nach der tatsächlichen Arbeitsaufnahme der Arbeitnehmerin in der anderen Filiale –, erledigt sich das Mitbestimmungsverfahren nach § 99 BetrVG. Die Arbeitnehmerin kann eine Rückversetzung in die ursprüngliche Beschäftigungsfiliale nicht mehr wegen eines betriebsverfassungswidrigen Zustands oder Verhaltens des Arbeitgebers verlangen.
3. Ist in einem vor dem 01.01.2002 geschlossenen Arbeitsvertrag, der die Einstellung für eine bestimmte Filiale enthält, eine Klausel enthalten, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer „nach den geschäftlichen Erfordernissen” auch in einer anderen Filiale beschäftigen kann, ist diese Versetzungsklausel nicht wegen Verstoßes gegen AGB-Recht unwirksam. Eine ausdrückliche Festlegung, dass die Versetzung nur nach billigem Ermessen erfolgen kann, ist nicht erforderlich.
4. Ein gegenüber dem Vorgesetzten ausgesprochener Rückversetzungswunsch steht der Verwirkung des Arbeitnehmerverlangens, der sich erst nach mehr als eineinhalb Jahren auf die Unwirksamkeit der Versetzung aus Rechtsgründen beruft, nicht entgegen.
Normenkette
GewO § 106; BGB §§ 242, 305 ff.; BetrVG § 95 Abs. 3, § 99
Verfahrensgang
ArbG Weiden (Urteil vom 17.08.2007; Aktenzeichen 6 Ca 178/07) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten hin wir das Endurteil des Arbeitsgerichts Weiden vom 17.08.2007, Az. 6 Ca 178/07, abgeändert.
II. Die Klage wird abgewiesen.
III. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
IV. Die Revision zum Bundesarbeitsgericht wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Verpflichtung des Arbeitgebers, die Arbeitnehmerin auf ihren ursprünglichen Arbeitsplatz zurückzuversetzen.
Die am 31.12.1952 geborene Klägerin ist seit 01.08.1992 bei der Beklagten, die als Discounter eine Vielzahl von Filialen in Oberfranken und in der Oberpfalz betreibt, als Verkäuferin beschäftigt. Sie erhielt zuletzt ein monatliches Bruttoeinkommen von 1.739,60 EUR. Im von der Beklagten vorformulierten Anstellungsvertrag finden sich, soweit vorliegend von Interesse, folgende Bestimmungen (Anlage K 1 zur Klage, Bl. 7 d.A.):
„§ 1 |
Frau H. wird ab 01.08.1992 im E. W. als Kassiererin/Verkäuferin eingestellt und erklärt sich aber bereit, auch eine andere ihr zugewiesene Arbeit zu verrichten. … |
§ 4 |
Nach den geschäftlichen Erfordernissen kann der/die Mitarbeiter/in jederzeit in einem anderen Markt oder in einer anderen Arbeitsstelle des Unternehmens beschäftigt werden. Er/Sie erkennt die Betriebsordnung an und verpflichtet sich, den Anordnungen der Geschäftsleitung und deren Beauftragten Folge zu leisten. |
§ 8 |
Für nicht im Anstellungsvertrag aufgeführte Fälle gelten die Bestimmungen des Manteltarifvertrages für die Angestellten im Bayerischen Einzelhandel.” |
Die Klägerin erbrachte ihre Arbeitsleistungen – mit Ausnahme einer wenigen Wochen dauernden Versetzung im Jahr 1994 – in der Filiale der Beklagten in W.. Mitte des Jahres 2004 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie ab 16.08.2004 in die Filiale in V. versetzt werde. Zwischen den Parteien ist streitig, ob diese Maßnahme ursprünglich bis 31.12.2004 befristet sein sollte. Die Klägerin kam dieser Aufforderung nach. Der Wohnort der Klägerin ist vom neuen Beschäftigungsort etwa 7 km entfernt, von der ursprünglichen Filiale in W. etwa 20 km. Mit Erklärung vom 30.11.2004 erklärte die Klägerin ihre Bereitschaft, die Arbeitszeit ab 01.01.2005 von 163 Stunden auf 141,35 Stunden zu reduzieren (Anlage B 1, Bl. 40 d.A.). Mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 01.02.2006 verlangte die Klägerin gegenüber der Personalabteilung die Rückversetzung in den Markt in W.. Die Beklagte lehnte dies unter Hinweis auf betriebliche Notwendigkeiten ab.
Mit ihrer am 12.03.2007 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat die Klägerin die Rückversetzung in die Filiale in W. verlangt. Sie hat geltend gemacht, die Versetzung sei bis 31.12.2004 befristet gewesen. Es sei ihr versprochen worden, dass sie anschließend wieder in der Filiale in W. arbeiten könne. Dieses Versprechen habe die Beklagte nicht gehalten. Es seien weder zum 16.08.2004 noch heute betriebliche Gründe für die Versetzung vorhanden gewesen. Die Beklagte habe auch nicht ausreichend berücksichtigt, dass sie, die Klägerin, mehr als zwölf Jahre in der Filiale W. tätig gewesen sei. Die Beklagte habe auch keine weiteren Mitarbeiter der Filiale W. versetzt, habe in der Filiale W. vielmehr fortlaufend zahlreiche Mitarbeiter neu eingestellt. Die Versetzung sowie ihre A...