Betriebsvereinbarung ohne Beschluss des Betriebsrats ist unwirksam
Wenn der Betriebsratsvorsitzende eine Betriebsratsvereinbarung unterzeichnet, wird es schon seine Richtigkeit haben? Bislang stellten Arbeitgeber sich in diesem Fall selten die Frage, ob das Gremium tatsächlich einen entsprechenden Beschluss gefasst hat. Zumal die Rechtsprechung, wie kürzlich das LAG Düsseldorf, bei einem Fehlen zumeist die Wirksamkeit aufgrund einer Anscheinsvollmacht bejahte. Nach einer jetzt veröffentlichten Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts sollten Arbeitgeber künftig zur Sicherheit zeitnah eine Sitzungsniederschrift, aus der sich die Beschlussfassung ergibt, vom Betriebsrat anfordern. Denn ohne Beschluss ist die Betriebsvereinbarung unwirksam. Die Grundsätze der Anscheinsvollmacht gelten nicht, hat das BAG deutlich gemacht. Jedoch könne der Betriebsrat den Beschluss notfalls nachträglich genehmigen.
Unwirksame Betriebsvereinbarung mangels Betriebsratsbeschluss
Im vorliegenden Fall wollte ein Arbeitnehmer, der als Industriemechaniker in der Stahlindustrie tätig ist, seine Vergütungseinstufung nach einer neuen Betriebsvereinbarung nicht akzeptieren. Seiner Auffassung nach sei er nach der bisherigen Betriebsvereinbarung weiter zu bezahlen, da die alten Grundsätze aufgrund eines fehlenden Betriebsratsbeschlusses gar nicht durch eine neue Vereinbarung abgelöst wurden.
Das Ergebnis der Beweisaufnahme ergab, dass der Betriebsrat tatsächlich keinen Beschluss gefasst hatte. Die Vorinstanzen entschieden daraufhin, dass die Betriebsvereinbarung dennoch rechtswirksam zustande gekommen sei, da das Handeln des Vorsitzenden dem Betriebsrat aufgrund einer Anscheinsvollmacht zuzurechnen sei. Dieser rechtlichen Beurteilung ist das BAG nun mit einer ausführlichen Begründung entgegengetreten.
BAG: Keine Anscheinsvollmacht für Betriebsratsvorsitzenden
Das oberste Arbeitsgericht stellte in seiner Entscheidung fest, dass eine vom Betriebsratsvorsitzenden unterschriebene Betriebsvereinbarung nicht wirksam zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat zustande kommen könne, wenn es an einer – zumindest (nachträglich) genehmigten – ordnungsgemäßen Beschlussfassung des Betriebsrats fehle. Eine vom Vorsitzenden abgegebene Erklärung zum Abschluss einer Betriebsvereinbarung könne dem Betriebsrat auch nicht auf der Grundlage einer Anscheinsvollmacht zugerechnet werden.
Betriebsrat hat Pflicht zur Herausgabe der Sitzungsniederschrift
Nach Ansicht des Gerichts können die zivilrechtlichen Grundsätze einer Anscheinsvollmacht nicht auf das Verhältnis zwischen einem Betriebsrat und seinem Vorsitzenden übertragen werden. Der Betriebsratsvorsitzende gebe, so hieß es in der Begründung, gemäß Betriebsverfassungsgesetz lediglich Erklärungen für den Betriebsrat ab. Da er keine auf eigenem Willensentschluss beruhende Entscheidungen an dessen Stelle treffen könne, sei eine unmittelbare Anwendung der Grundsätze über die Anscheinsvollmacht nicht möglich.
Rechtsschein kann keine Rechtsnormen im Betrieb begründen
Das BAG verwies auf die Rechtswirkung von Betriebsvereinbarungen: Diese gestalten unabhängig vom Willen und der Kenntnis der Vertragsparteien – allein kraft gesetzlicher Anordnung – die Arbeitsverhältnisse der betriebszugehörigen Arbeitnehmer. Eine betriebliche Rechtsetzung aufgrund bloßer Anscheinsvollmacht des Betriebsratsvorsitzenden sei hiermit nicht vereinbar. Die bloße Veranlassung eines Rechtsscheins durch den Betriebsrat oder seine Mitglieder könne jedenfalls keine Geltung von Rechtsnormen im Betrieb begründen. Im konkreten Fall verwies das Bundesarbeitsgericht die Sache an das Arbeitsgericht zurück.
Hinweis: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 8. Februar 2022, 1 Az.: 233/21; Vorinstanzen: Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 15. April 2021, Az: 11 Sa 490/20, Arbeitsgericht Wuppertal, Teilurteil vom 25. Juni 2019, Az: 6 Ca 1138/18
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