Entscheidungsstichwort (Thema)
Unwirksamkeit einer in einer Betriebsvereinbarung geregelten Klageverzichtsprämie bei Junktim zu den Regelungen zur Sozialplanabfindung. Berücksichtigung unwirksamer Inhalte einer Betriebsvereinbarung als Teil eines Sozialplans
Leitsatz (amtlich)
Die Verknüpfung der Zahlung eines Teils der Sozialplanabfindung mit einem Verzicht auf die Kündigungsschutzklage (sog. Klageverzichtsprämie) ist zweckwidrig und daher unwirksam. Dies gilt auch, wenn die Klageverzichtsprämie in einer eigenen Betriebsvereinbarung geregelt, die Prämie aber aus dem Sozialplanvolumen finanziert ist. In einem solchen Fall können Sozialplan und Betriebsvereinbarung als Einheit zu betrachten sein mit der Folge, dass nicht die Betriebsvereinbarung insgesamt unwirksam ist, sondern die Klageverzichtsprämie die im Sozialplan vorgesehene Abfindung erhöht ggf. unter Berücksichtigung etwaiger Kappungsgrenzen.
Leitsatz (redaktionell)
1. Leistungen in Sozialplänen zum Zweck des Ausgleichs oder der Milderung wirtschaftlicher Nachteile für die Arbeitnehmer (§ 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG) dürfen nicht von einem Verzicht auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage abhängig gemacht werden. Das folgt aus dem betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz.
2. Wird dieses Verbot durch eine separate Betriebsvereinbarung "Klageverzichtsprämie" umgangen, ist diese Betriebsvereinbarung nicht unwirksam, sondern infolge der Verknüpfung mit den Abfindungsregelungen im Sozialplan als Teil des Sozialplans anzusehen. Deshalb erhöht sich der Faktor für jeden unter den Sozialplan fallenden Arbeitnehmer unabhängig davon, ob Kündigungsschutzklage erhoben wurde oder nicht.
Normenkette
BetrVG §§ 77, 112; AGG §§ 1, 3, 7, 10, 15; Sozialplan Werkschließung Nr. III.1 Fassung: 2019-06-05; BV Klageverzichtsprämie Teil 1 Fassung: 2019-06-05
Verfahrensgang
ArbG Weiden (Entscheidung vom 10.03.2020; Aktenzeichen 1 Ca 815/19) |
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts Weiden - Kammer Schwandorf - vom 10.03.2020, Az. 1 Ca 815/19, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob im Zusammenhang mit einem Sozialplan Ansprüche des Klägers aus ungerechtfertigter Bereicherung, auf eine höhere Abfindung oder eine Entschädigung wegen Altersdiskriminierung bestehen.
Der am 21.09.1959 geborene Kläger ist auf der Grundlage eines schriftlichen Arbeitsvertrages vom 30.09.1983 seit 03.10.1983 als Schleifer/Polierer im Werk B... der Beklagten, die dem Konzern der O...-Group angehört, beschäftigt. Sein Bruttomonatsgehalt betrug zuletzt 3.128,03 €.
Am 05.06.2019 schlossen die Beklagte und der in ihrem Werk B... bestehende Betriebsrat in der Einigungsstelle neben einem Interessenausgleich vom selben Tag (Blatt 9 ff. der Akten) einen Sozialplan zum Ausgleich bzw. zur Milderung der den Arbeitnehmern infolge der Werkschließung in B... entstehenden Nachteile (Blatt 16 ff. der Akten) ab. Der Sozialplan sieht u. a. für alle Arbeitnehmer, die betriebsbedingt gekündigt werden, einen Anspruch auf eine Abfindung vor (Ziffer III. 1. a). Die Abfindung errechnet sich gemäß Ziffer III 1. c. aa) des Sozialplans nach der Formel: "Betriebszugehörigkeit x Bruttomonatseinkommen x Faktor". Der Faktor beträgt nach der sich anschließenden Tabelle bis zur Vollendung des 40. Lebensjahres 0,25, vom 41. bis zum 50. Lebensjahr 0,35, vom 51. bis zum 55. Lebensjahr 0,75, vom 56. bis zum 58. Lebensjahr 0,95, vom 59. bis zum 60. Lebensjahr 0,85, im 61. Lebensjahr 0,55, im 62. Lebensjahr 0,25 und vom 63. bis zum 66. Lebensjahr 0,15. Im Anschluss an die Tabelle Ziffer III. 1. c aa) ist im Sozialplan bestimmt:
"...
bb) Die Abfindung erhöht sich für jedes unterhaltsberechtigte Kind um 1.500 EUR brutto pro Kind. ...
cc) Für Schwerbehinderte und Gleichgestellte wird ein zusätzlicher Abfindungsbetrag in Höhe von 1.500 EUR brutto gezahlt. ...
dd) Die Gesamtabfindung ergibt sich aus der Addition der o. g. Beträge.
ee) Der sich insgesamt ergebende Abfindungsbetrag (Gesamtabfindung) wird auf einen max. Höchstbetrag von 75.000 € pro Arbeitnehmer beschränkt. Für Mitarbeiter, die 62 Jahre und älter am Stichtag 30.06.2019 sind, beträgt der Höchstbetrag 45.000 €.
..."
In Ziffer III. 3. des Sozialplans ist unter der Überschrift "Unwiderrufliche Freistellung (Interessenausgleich)" weiter geregelt, dass Arbeitnehmer ab dem 01.09.2019 unwiderruflich unter Fortzahlung ihrer vollen Vergütung sowie unter Anrechnung auf noch bestehende Urlaubsansprüche und eventuelle Zeitguthaben freigestellt werden können. Eine ganz ähnliche Freistellungsregelung findet sich in § 2 (5) des Interessenausgleichs.
Neben dem Interessenausgleich und dem Sozialplan schlossen die Betriebsparteien in der Einigungsstelle auf Vorschlag des Einigungsstellenvorsitzenden ebenfalls am 05.06.2019 eine "Betriebsvereinbarung bezüglich einer Klageverzichtsprämie" (fortan: BV Klageverzichtsprämie, Blatt 66 der Akten) ab, sie wurde ...