Entscheidungsstichwort (Thema)

Personalleiter als Bevollmächtigter für die Abgabe einseitiger Willenserklärungen. "Wichtiger Grund" i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB. Täuschung des Arbeitgebers über einen Immunitätsnachweis gegen COVID-19. Darlegungs- und Beweislast des Arbeitgebers für die Kündigungsgründe. Entbehrlichkeit einer Abmahnung vor Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung

 

Leitsatz (amtlich)

Es stellt eine erhebliche Verletzung einer Nebenpflicht nach § 241 Abs. 2 BGB und damit einen wichtigen Grund an sich i. S. d. § 626 Abs. 1 BGB für eine außerordentliche Kündigung dar, wenn ein Arbeitnehmer, der in einer Einrichtung beschäftigt wird, die der einrichtungsbezogenen Impfpflicht unterliegt, sich zum Nachweis einer vorläufigen Impfunfähigkeit im Internet gegen Vorkasse selbst eine solche Bescheinigung erstellt ohne vorherige persönliche oder wenigstens telefonische Besprechung mit dem bescheinigenden Arzt.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Bevollmächtigung des Unterzeichners einer einseitigen Willenserklärung, insbesondere einer Kündigung, kann sich aus seiner Stellung im Unternehmen ergeben. Hat der Unterzeichner der Kündigung als "Personalleitung" unterzeichnet, ist mit der Bezeichnung als Personalleiter regelmäßig auch die Befugnis zum Abschluss, zur Änderung und zur Beendigung von Arbeitsverträgen verbunden. Eine Zurückweisung der Erklärung nach § 174 BGB geht deshalb ins Leere.

2. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.

3. Die Darlegungs- und Beweislast für die Tatsachen, die den wichtigen Grund an sich ausmachen, liegt beim Arbeitgeber. Dabei erstreckt sich die Darlegungs- und Beweislast auch auf die Widerlegung der Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe, die der Arbeitnehmer substantiiert in das Kündigungs- schutzverfahren einführt.

4. Im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bedarf es dann keiner Abmahnung, wenn eine Verhaltensänderung in der Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich und auch für den Arbeitnehmer erkennbar ausgeschlossen ist.

 

Normenkette

BGB §§ 626, 241; IfSG § 20a; BGB § 174; BetrVG § 102; BayPVG Art. 69 Abs. 2, Art. 77 Abs. 3

 

Verfahrensgang

ArbG Bamberg (Entscheidung vom 27.07.2022; Aktenzeichen 2 Ca 136/22)

ArbG Bamberg (Entscheidung vom 27.07.2022; Aktenzeichen 2 Ca 137/22)

 

Tenor

I. Auf die Berufungen der Beklagten werden die Endurteile des Arbeitsgerichtes Bamberg vom 27.07.2022 - 2 Ca 136/22 und 2 Ca 137/22 - aufgehoben und die Klagen abgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit außerordentlicher, hilfsweise ordentlicher Kündigungen.

Die am 16.12.1979 geborene, verheiratete und zwei Kindern unterhaltsverpflichtete Kläger war bei der Stadt B... seit 27.02.2000 als Schreibkraft beschäftigt. Zum 01.01.2004 fand ein Betriebsübergang auf die Beklagte zu 1) statt, der von einem Personalüberleitungstarifvertrag (Bl. 13 ff der Akte) flankiert wurde. Sie arbeitete zuletzt als Schreibkraft in Teilzeit mit 31,17% der durchschnittlichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten mit einem monatlichen Bruttoarbeitsentgelt von 895,47 € ausweislich der Gehaltsabrechnung für Januar 2022 (Bl. 28 der Akte) im Home Office zu den Bedingungen des Zusatzvertrages über alternierendes Home Office vom 31.03.2017 (Bl. 29 ff der Akte). Der TVöD-K ist kraft einzelvertraglicher Vereinbarung auf das Arbeitsverhältnis anwendbar. Das Arbeitsverhältnis ist nach § 34 Abs. 2 TVöD-K nur außerordentlich kündbar.

Es besteht ein Personalrat.

Die Klägerin ist ferner bei einer Tochtergesellschaft der Beklagten zu 1), der hiesigen Beklagten zu 2), seit 08.07.2016 als geringfügig beschäftigte Arbeitnehmerin eingestellt mit einem monatlichen Bruttoarbeitsentgelt von 434,80 €, ebenfalls als Schreibkraft im Home Office. Das Arbeitsverhältnis ist nicht tarifgebunden.

Es besteht ein Betriebsrat.

Die Klägerin wurde mit Schreiben vom 03.01.2022 (Bl. 75 der führenden und Bl. 51 der hinzuverbundenen Akte) auf die eingeführte Impfpflicht gem. § 20a IfSG hingewiesen und gebeten, bis zum 15.03.2022 einen Impfnachweis, einen Genesenennachweis oder eine ärztliche Bescheinigung über eine medizinische Kontraindikation vorzulegen. Sie wurde ferner gebeten, dieser Verpflichtung zur vollständigen Impfung umgehend nachzukommen, da der Beklagten bislang keine entsprechende Dokumentation im Mitarbeiterportal vorliege und der vollständige Impfschutz bis 15.03.2022 bestehen müsse.

Die Klägerin leidet nach ihren Angaben an L...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?