Entscheidungsstichwort (Thema)

Wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung. Täuschung durch ungültigen Immunitätsnachweis gegen COVID-19. Grundsätze zur Verdachtskündigung. Darlegungs- und Beweislast für den "wichtigen Grund" i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.

2. Für den Fall einer Täuschung des Arbeitgebers, der eine Pflege- und Gesundheitseinrichtung betreibt, im Sinne des § 20a Abs. 1 IfSG über einen der Vorschrift entsprechenden, gültigen Immunitätsnachweis gegen COVID-19, ist von einem wichtigen Grund wegen einer schweren Verletzung vertraglicher Nebenpflichten auszugehen.

3. Eine Verdachtskündigung kann gerechtfertigt sein, wenn sich starke Verdachtsmomente auf objektive Tatsachen gründen, die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören, und der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen hat, insbesondere auch die Gelegenheit zur Stellungnahme für den Arbeitnehmer. Der Verdacht muss auf konkrete, vom Kündigenden darzulegende und gegebenenfalls zu beweisende Tatsachen gestützt sein.

4. Die Darlegungs- und Beweislast für die Tatsachen, die den "wichtigen Grund" an sich ausmachen, liegt beim Arbeitgeber. Dabei erstreckt sich die Darlegungs- und Beweislast auch auf die Widerlegung der Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe, die der Arbeitnehmer substantiiert in das Kündigungsschutzverfahren einführt.

 

Normenkette

IfSG § 20a; BGB §§ 626, 241, 123, 140

 

Verfahrensgang

ArbG Bamberg (Entscheidung vom 15.09.2022; Aktenzeichen 1 Ca 178/22)

 

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Arbeitsgerichtes Bamberg vom 15.09.2022 - 1 Ca 178/22 - wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung und um den Anspruch des Klägers auf Weiterbeschäftigung.

Der am ... 1969 geborene, verheiratete und zwei Kindern unterhaltsverpflichtete Kläger ist bei der Beklagten seit 09.03.1988 beschäftigt in Vollzeit mit einem jährlichen Bruttoarbeitsentgelt von ca. 67.000,00 €, zuletzt als Führungskraft im technischen Dienst. In den letzten Jahren war er tätig als Abteilungsleiter bei der Servicegesellschaft S... B... mbH, einer Tochtergesellschaft der Beklagten, über einen Personalgestellungsvertrag. Bei dieser Tochtergesellschaft ist der Kläger Mitglied des dort bestehenden Betriebsrates. Die Beklagte betreibt Krankenhäuser. Es handelt sich um eine Pflegeeinrichtung iSd § 20a IfSG. Bei der Beklagten besteht ein Personalrat.

Mit Laborbefund des MVZ am B., Bu... Str. ..., ... B., vom 16.11.2021 (Bl. 118 der Akte) wurde für "Sc..., G... ... ., M PNR: ..." für eine am 11.11.2021 eingegangene Blutprobe der Titer der Antikörper festgestellt und für SARS-CoV-2 ein Wert von 163.0 festgestellt. In den Bemerkungen zu diesem Testergebnis wird ausgeführt:

"Ein positives Ergebnis zeigt das Vorhandensein von IgG-Antikörpern gegen das Spike-Protein von SARS-CoV-2 an. Eine Unterscheidung zwischen durchgemachter natürlicher Infektion oder Impftiter ist nicht möglich.

Die Werte werden unter Berücksichtigung des WHO-Standards für die Anti-SARS-CoV-2-Immunglobulin-Bindungsaktivität gemäß Herstellervorgabe angegeben (DiaSorin).

Namentlich meldepflichtig an das Gesundheitsamt nach § 6 IfSG. Zur Meldung verpflichtet ist der behandelnde Arzt.

Die Meldung nach § 7 IfSG (Nachweis von Krankheitserregern) erfolgte bereits durch das Labor."

Der Kläger wurde mit Schreiben vom 03.01.2022 (Bl. 49 der Akte) auf die eingeführte Impfpflicht gem. § 20a IfSG hingewiesen und gebeten, bis zum 15.03.2022 einen Impfnachweis, einen Genesenennachweis oder eine ärztliche Bescheinigung über eine medizinische Kontraindikation vorzulegen. Er wurde gebeten, dieser Verpflichtung zur vollständigen Impfung umgehend nachzukommen, da der Beklagten bislang keine entsprechende Dokumentation im Mitarbeiterportal vorliege und der vollständige Impfschutz bis 15.03.2022 bestehen müsse.

Am 10.01.2022 erstellte Dr. A..., Be..., für den Kläger eine Immunitätsbescheinigung (Bl. 54 der Akte) nach Übersendung des Berichtes des Labors vom 16.11.2021 durch den Kläger wie folgt:

Mit E-Mail vom 20.01.2022 (Bl. 52 der Akte) wurde eine Vielzahl von Arbeitnehmern, darunter auch der Kläger, noch einmal aufgefordert, die entsprechenden Unterlagen zur Überprüfung vorzulegen. Mit weiterer E-Mail vom 26.01.2022 (Bl. 51 der Akte) wurde an die Erledigung erinnert.

Mit E-Mail vom 28.01.2022 legte der Kläger die Bescheinigung...

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