Entscheidungsstichwort (Thema)
Fehlende Eilbedürftigkeit eines Unterlassungsbegehrens bei schuldhaft zögerlichem Verhalten des Betriebsrats hinsichtlich der Verhandlungen über einen Interessenausgleich. Unbegründeter Eilantrag des Betriebsrats zur Sicherung des Verhandlungsanspruchs bei längerem Aufschub des Verhandlungsbeginns
Leitsatz (redaktionell)
1. Gemäß § 935 ZPO sind einstweilige Verfügungen in Bezug auf den Streitgegenstand nur zulässig, wenn zu besorgen ist, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung des Rechts einer Partei vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte; gemäß § 940 ZPO sind einstweilige Verfügungen auch zum Zwecke der Regelung eines einstweiligen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, sofern diese Regelung insbesondere bei dauernden Rechtsverhältnissen zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint.
2. An der für den Erlass einer einstweiligen Verfügung erforderlichen Dringlichkeit und Eilbedürftigkeit fehlt es, wenn dem Verfügungskläger auch mit einer späteren Verwirklichung seines Rechts im ordentlichen Prozessweg gedient ist.
3. Die Dringlichkeit entfällt nach den Grundsätzen der Selbstwiderlegung insbesondere auch dann, wenn der Verfügungskläger in Kenntnis der sie rechtfertigenden Umstände untätig bleibt und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung erst nach längerer Zeit stellt.
4. Ebenso wie die Arbeitgeberin gemäß § 2 Abs. 1 BetrVG verpflichtet ist, den Betriebsrat rechtzeitig und umfassend zu unterrichten, ist dieser verpflichtet, auf das Regelungsansinnen der Arbeitgeberin zeitnah einzugehen; dazu können außerordentliche Betriebsratssitzungen aus konkretem Anlass einberufen werden oder Sachverständige hinzugezogen werden, um sich auf umfassende Gespräche einzulassen.
5. Bei einschneidenden Maßnahmen ist dem Betriebsrats hinreichend Zeit einzuräumen zur internen Beratung, Meinungsbildung, Hinzuziehung eines Sachverständigen, so dass der Betriebsrat sich nicht sofort auf grundlegende Verhandlungen über einen Interessenausgleich oder Sozialplan einzulassen hat; sein Gesamtverhalten darf aber nicht den Eindruck vermitteln, lediglich eine gewisse Zeitverzögerung erreichen zu wollen, indem etwa unter Hinweis auf Betriebsferien über einen vollen Monat hinweg Gespräche und Verhandlungen rundweg abgelehnt werden.
6. Hat der Betriebsrat durch schuldhaft zögerliches Verhalten die Eilbedürftigkeit letztlich selbst herbeiführt, kommt (mangels Verfügungsgrund) eine einstweilige Verfügung zur Sicherung seines Verhandlungsanspruchs über einen Interessenausgleich nicht in Betracht.
Normenkette
BetrVG §§ 111 ff.; ZPO §§ 935, 940; BetrVG § 111 Sätze 1, 3 Nr. 1
Verfahrensgang
ArbG Trier (Entscheidung vom 10.09.2014; Aktenzeichen 5 BVGa 5/14) |
Tenor
- Die Beschwerde des Beteiligten zu 1) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Trier vom 10.09.2014 - 5 BVGa 5/14 - wird zurückgewiesen.
- Gegen diese Entscheidung ist kein Rechtsmittel gegeben.
Gründe
I. Der Betriebsrat als Antragsteller begehrt zur Sicherung seines Verhandlungsanspruchs über einen Interessenausgleich den Erlass einer einstweiligen Verfügung. Damit soll der Antragsgegnerin untersagt werden, die Schließung eines Betriebsteils bzw. den Ausspruch von betriebsbedingten Kündigungen ohne Verhandlungsabschluss vorzunehmen.
Die Antragsgegnerin ist Teil eines international tätigen Unternehmenskonzerns. Sie produziert am Standort A-Stadt mit etwa 160 Arbeitnehmern Unterwassermotoren. Am 26.06.2014 traf die amerikanische Muttergesellschaft die Entscheidung, den Standort A-Stadt zu schließen und die dort bislang vorgenommene Produktion nach Tschechien zu verlagern. Nachdem die Antragsgegnerin selbst darüber informiert worden war, hat sie mit Schreiben vom 30.06.2014 dem Betriebsrat folgendes mitgeteilt:
"Sehr geehrte Damen und Herren,
wir überlegen auf Veranlassung unserer amerikanischen Muttergesellschaft, die Produktion von A-Stadt zu unserer tschechischen Schwestergesellschaft, der F. zu verlagern. Die Einzelheiten unserer Überlegungen können Sie dem anliegenden Entwurf eines Interessensausgleichs entnehmen.
Da in dieser Maßnahme eine Betriebsänderung gem. § 111 Satz 3 Ziffer 1 BetrVG liegen würde, bitten wir Sie hiermit, die geplanten Maßnahmen mit uns zu beraten und einen Interessenausgleich mit uns abzuschließen. Gleichzeitig wollen wir mit Ihnen über einen Sozialplan verhandeln. Als Verhandlungstage schlagen wir folgende Termine vor:
04.07.2014, 10 Uhr
08.07.2014, 10 Uhr
11.07.2014, 10 Uhr
Wir bitten um kurzfristige Rückäußerung, welcher der Termine für Sie in Betracht kommt."
Als Anhang dieses Anschreibens übermittelte die Antragsgegnerin einen von ihr ausgefertigten Entwurf eines Interessenausgleichs. Nachdem der Betriebsrat den vorgeschlagenen ersten Termin am 04.07.2014 nicht wahrgenommen hatte, bat die Antragsgegnerin mit E-Mail vom 07.07.2014 um Bestätigung eines Termins, wobei nunmehr der 10. bzw. der 11.07.20...