Entscheidungsstichwort (Thema)
Unwirksame Betriebsratswahl bei Nichtberücksichtigung von Leiharbeitnehmern und unzureichende Übersetzung der Wahlausschreibung zur Information der ausländischem Beschäftigten
Leitsatz (amtlich)
Betriebsratswahlanfechtung wegen inkorrekter Angabe der auf das Minderheitengeschlecht entfallenden Sitze im Wahlausschreiben und mangelnder Information ausländischer Arbeitnehmer
Leitsatz (redaktionell)
1. Nach § 19 Abs. 1 BetrVG kann eine Betriebsratswahl angefochten werden, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen wurde und eine Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei denn, dass durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflusst werden konnte.
2. § 3 Abs. 2 Nr. 5 WahlO BetrVG ist eine wesentliche Vorschrift über das Wahlverfahren; danach muss das Wahlausschreiben neben der Zahl der zu wählenden Betriebsratsmitglieder auch die auf das Geschlecht in der Minderheit entfallenden Mindestsätze im Betriebsrat (§ 15 Abs. 2 BetrVG) angeben.
3. § 15 Abs. 2 BetrVG bestimmt, dass das Geschlecht, das in der Belegschaft in der Minderheit ist, mindestens entsprechend seinem zahlenmäßigen Verhältnis im Betriebsrat vertreten sein muss, wenn der Betriebsrat mindestens aus drei Mitgliedern besteht, wobei die Zahl der Angehörigen des Geschlechts in der Minderheit entscheidend ist, die am Tag des Erlasses des Wahlausschreibens (§ 5 Abs. 1 Satz 3 WahlO BetrVG) dem Betrieb angehören; eine nach Erlass des Wahlausschreibens eintretende Veränderung der zahlenmäßigen Zusammensetzung der Belegschaft des Betriebs bleibt unberücksichtigt.
4. Gegen § 3 Abs. 2 Nr. 5 WahlO BetrVG wird verstoßen, wenn am Tag des Erlasses des Wahlausschreibens tatsächlich nur 59 Männer beschäftigt sind und das Wahlausschreiben von 61 beschäftigten Männern ausgeht, so dass die Anzahl der auf das Minderheitengeschlecht der Männer entfallene Mindestanzahl der Sitze lediglich zwei und nicht wie im Wahlausschreiben angegeben drei Sitze betrug.
5. Wer die falsche Angabe im Wahlausschreiben veranlasst hat und ob der Wahlvorstand dies hätte erkennen können, ist unerheblich; der Schutz des Minderheitengeschlechts nach § 15 Abs. 2 BetrVG muss objektiv gewährleistet sein.
6. § 2 Abs. 5 WahlO BetrVG ist ungeachtet des Umstandes, dass es sich um eine Sollvorschrift handelt, eine wesentliche Vorschrift über das Wahlverfahren im Sinn von § 19 Abs. 1 BetrVG; der Wahlvorstand verstößt gegen § 2 Abs. 5 WahlO BetrVG, wenn er ausländische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind, lediglich in deutscher Sprache über Wahlverfahren, Aufstellung der Wähler- und Vorschlagslisten, Wahlvorgang und Stimmabgabe unterrichtet, obwohl er davon ausgehen muss, dass insbesondere vier bulgarischen "Praktikanten" der deutschen Sprache nicht im Sinne von § 2 Abs. 5 WahlO BetrVG mächtig sind.
7. Der Maßstab für das Vorliegen ausreichender Sprachkenntnisse der ausländischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Rahmen des § 2 Abs. 5 WahlO BetrVG ist im Hinblick auf den Zweck der Vorschrift, ausländischen Beschäftigten die wesentlichen Grundsätze über die durchzuführende Wahl zu vermitteln, um ihnen in gleicher Weise wie deutschen Beschäftigen die Wahrnehmung ihres aktiven und passiven Wahlrechts zu ermöglichen, sehr hoch; von der Verständigungsmöglichkeit bei der täglichen Arbeit kann nicht auf eine hierfür ausreichende Kenntnis der deutschen Sprache geschlossen werden, da eine solche Kenntnis ausreichen muss, um die komplizierten Wahlvorschriften und den Inhalt des Wahlausschreibens verstehen zu können.
8. Die Unterrichtung der ausländischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hat der Wahlvorstand von sich aus vorzunehmen, ohne dass es hierzu einer vorherigen Aufforderung durch die ausländischen Beschäftigten bedarf; im Einzelfall kann auch eine Unterrichtung in englischer Sprache in Betracht kommen.
Normenkette
BetrVG § 15 Abs. 2, § 19 Abs. 1; BetrVGDV1WO § 2 Abs. 5, § 3 Abs. 2 Nr. 5, § 4 Abs. 3; WahlO BetrVG § 2 Abs. 5; WahlO BetrVG § 5 Abs. 1 S. 3
Verfahrensgang
ArbG Mainz (Entscheidung vom 18.12.2014; Aktenzeichen 9 BV 14/14) |
Tenor
- Die Beschwerde des Beteiligten zu 10) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Mainz - Az. 9 BV 14/14 - vom 18. Dezember 2014 wird zurückgewiesen.
- Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Beteiligten streiten über Wirksamkeit der im P. und P.Z. durchgeführten Betriebsratswahl vom 7./8. April 2014, aus der der siebenköpfige Beteiligte zu 10) hervorgegangen ist. Diese Wahl wird von acht wahlberechtigten Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen (Beteiligte zu 1) bis 8)) sowie der Arbeitgeberin (Beteiligte zu 9) angefochten.
Die Beteiligte zu 9) ist eine Hotelbetriebsgesellschaft mit Sitz in P-Stadt. Sie betreibt in Deutschland drei Hotels: das P. in der A-Straße in A-Stadt, das P.Z. in der X-Straße, A-Stadt und das P.X. Im P. sind derzeit circa 145 Mitarbeiter, im P.Z. derzeit weitere circa 25 Mitarbeiter beschäftigt.
Der Betei...