Entscheidungsstichwort (Thema)
Außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Mitglieds des Betriebsrats wegen privater Einkäufe während der Arbeitszeit und wegen Arbeitszeitbetruges
Leitsatz (amtlich)
Antrag auf Ersetzung der Zustimmung zu einer außerordentlichen Tat-/Verdachtskündigung.
Leitsatz (redaktionell)
1. Gegenüber einem Mitglied des Betriebsrats kann eine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses wegen rein arbeitsvertraglicher Pflichtverletzungen unter den gleichen Voraussetzungen ausgesprochen werden, unter denen gegenüber anderen Arbeitnehmern eine Kündigung aus wichtigem Grund nach § 626 Abs. 1 BGB möglich ist.
2. Es stellt eine schwerwiegende Pflichtverletzung dar, wenn eine Arbeitnehmerin während der Arbeitszeit private Einkäufe tätigt, ohne sich in der Zeiterfassung “auszustempeln".
3. Das gilt auch im Falle eines vollständig freigestellten Betriebsratsmitglieds, denn auch dieses unterlegt als Arbeitnehmer den Regelungen der Arbeits- und Betriebsordnung des Arbeitgebers. Insbesondere gibt es keinen Grund, von der beruflichen Tätigkeit freigestellte Betriebsratsmitglieder von der betrieblichen Zeiterfassung als solcher auszunehmen.
4. Jedoch stellt sich unter Berücksichtigung der Schwerbehinderung der Arbeitnehmerin, ihres Alters und ihrer langen Betriebszugehörigkeit (hier: 38 Jahre) eine außerordentliche Kündigung als unverhältnismäßig dar.
Normenkette
BetrVG §§ 103, 3; BGB § 626
Verfahrensgang
ArbG Kaiserslautern (Entscheidung vom 16.03.2017; Aktenzeichen 2 BV 1/17) |
Tenor
- Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 16. März 2017 - Az.: 2 BV 1/17 wird zurückgewiesen.
- Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
A.
Die Beteiligten streiten um die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zu einer beabsichtigten außerordentlichen Tat- hilfsweise Verdachtskündigung gegenüber der Beteiligten zu 3).
Die 1962 geborene, ledige Beteiligte zu 3.) ist seit dem 01.08.1978 bei der im Einzelhandel tätigen Beteiligten zu 1) (im Folgenden: Arbeitgeberin), die in A-Stadt ein großflächiges SB-Warenhaus mit mehr als 200 Arbeitnehmern betreibt, als Warengruppenleiterin angestellt. Bei der Beteiligten zu 3) besteht ein Grad der Behinderung von 60.
Die Beteiligte zu 3) ist die nach § 38 BetrVG freigestellte Betriebsratsvorsitzende des bei der Arbeitgeberin gewählten Beteiligten zu 2) (im Folgenden: Betriebsrat), sie war aber auch schon zuvor seit über 10 Jahren Mitglied des Betriebsrats.
Bei der Arbeitgeberin finden unter anderem die Konzernbetriebsvereinbarung zur Einführung und Nutzung von SAP R3/HR vom 20.10.2003 (Bl. 132 ff. d. A.), dessen Nachtrag Nr. 4 vom 05.10.2009 die Einführung der Mitarbeiter-Einkaufskarte regelt (Bl. 143 ff d. A.) sowie die Rahmengesamtbetriebsvereinbarung IT Nr. 28 vom 29.09.2011 (Bl. 271 ff. d. A.), die gemäß dessen Anlage 1 sowohl das Zeiterfassungssystem EPOS/H als auch SAP-HR (Personalrabatt) als auch SAP BW (den Kassenbereich) umfasst, Anwendung. Für den Inhalt der jeweiligen Betriebsvereinbarung wird ausdrücklich auf die Bl. 132 ff., 143 ff. 271 ff. Bezug genommen.
Die Arbeitgeberin verhandelte mit dem Betriebsrat im Sommer 2016 über den Abschluss einer neuen Arbeits- und Betriebsordnung, wobei das Thema private Einkäufe ein zentraler Gegenstand war. Die Beteiligte zu 3.) unterschrieb schließlich am 12.07.2017 für den Betriebsrat die ausgehandelte Arbeits- und Betriebsordnung (Bl.18 ff. d. A.), die unter Ziffer 5 mit der Überschrift Arbeitszeit u.a. in Ziffer 5.2 folgende Regelungen enthält:
"5.2 Einhaltung der Arbeitszeit und Arbeitszeitkontrolle
Alle Mitarbeiter müssen zum geplanten Arbeitsbeginn an ihrem Arbeitsplatz sein und die geplante Arbeitszeit einhalten.
Die Arbeitszeit wird durch Zeiterfassungsgeräte erfasst und kontrolliert.
Das Zeiterfassungsgerät muss persönlich bedient werden
- vor Arbeitsbeginn und nach Arbeitsende
- direkt vor Beginn der Pausen.
Der private Einkauf erfolgt außerhalb der Arbeitszeit."
Am 13.10.2016 sendete der Geschäftsleiter der Filiale, Herr S., die folgende E-Mail (Bl.254 d.A.) an die Bereichsleiter:
"Hallo Zusammen,
Bitte geben sie nochmal an alle Mitarbeiter die Info raus, dass die privaten Einkäufe und auch die Einkäufe für die Pause, nicht während der Arbeitszeit gemacht werden Es gibt hier anscheinend noch Missverständnisse, die wir dringend regeln sollten! Die Einkäufe für die Pause (Getränke, Brötchen, Salat, etc) sind in der Pause zu machen und nicht während der Arbeitszeit auf dem Weg zur Kasse."
Die Mitarbeiter erhalten nach der bei der Arbeitgeberin bestehenden Betriebsvereinbarung zur Regelung der Arbeitszeit an verkaufsoffenen Sonntagen für die auf freiwilliger Basis geleisteten Arbeitsstunden wahlweise einen Zuschlag von 100 % oder entsprechenden Freizeitausgleich. Die Betriebsratsvorsitzende ließ sich ihre Mehrstunden regelmäßig auszahlen und zwar auch für den 16.10.2016.
Am verkaufsoffenen Sonntag den 27.11.2017 kaufte die Beteiligte zu 3) an der Kasse Information bei ...