Entscheidungsstichwort (Thema)
Abmahnungserfordernis bei fristloser Kündigung wegen beharrlicher Arbeitsverweigerung und Tätlichkeit gegen Kollegen
Leitsatz (redaktionell)
1. Wird der Arbeitnehmer nacheinander von mehreren Vorgesetzten zur Erbringung seiner Arbeitsleistung aufgefordert, ohne dass einer dieser Vorgesetzten den Arbeitnehmer darauf hinweist, dass er für den Fall, dass er der dienstlichen Weisung nicht nachkommt, mit kündigungsrechtlichen Konsequenzen rechnen muss, liegt den Umständen nach keine Abmahnung der Arbeitsverweigerung vor.
2. Auch bei einer Tätlichkeit gegenüber einem Kollegen (“Ohrfeige„) kann unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls, insbesondere unter Einbeziehung der Situation, der Gefährlichkeit des Angriffs und seiner tatsächlichen Folgen sowie der Auswirkungen für den Betriebsfrieden eine Abmahnung als milderes Mittel ausreichen, um eine störungsfreie Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für die Zukunft und Wiederherstellung des Betriebsfriedens prognostizieren zu können. Dabei ist davon auszugehen, dass der Arbeitnehmer von vornherein weiß, dass eine verständige Arbeitgeberin schon zum Schutz sämtlicher Beschäftigten tätliche Angriffe oder Auseinandersetzungen missbilligt und nicht hinnehmen wird.
3. Bei prognostischer Betrachtung kann im Einzelfall im Kündigungszeitpunkt die begründete Erwartung gerechtfertigt sein, dass sich der Arbeitnehmer wegen seiner einem Kollegen verabreichten “Ohrfeige„ eine Abmahnung zur Warnung gereichen lässt und bei einer Weiterbeschäftigung keine dauerhaften Störungen des Betriebsfriedens zu erwarten sind, insbesondere auch unter Berücksichtigung der Umgangsformen und des Umgangstons am Arbeitsplatz sowie des Umstands, dass der Arbeitnehmer sein Verhalten “spaßeshalber„ sehen wollte.
Normenkette
BGB § 626 Abs. 1; KSchG § 1 Abs. 2 S. 1; BGB § 314 Abs. 2; KSchG § 1 Abs. 2 S. 1 Alt. 2
Verfahrensgang
ArbG Mainz (Entscheidung vom 10.12.2015; Aktenzeichen 6 Ca 615/15) |
ArbG Mainz (Entscheidung vom 13.08.2015; Aktenzeichen 6 Ca 351/15) |
Tenor
- Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz - Auswärtige Kammern Bad Kreuznach - Az. 6 Ca 351/15 - vom 13. August 2015 sowie die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz - Auswärtige Kammern Bad Kreuznach - Az. 6 Ca 615/15 - vom 10. Dezember 2015 werden auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
- Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten im Berufungsverfahren noch über außerordentliche Kündigungen der Beklagten vom 2. April 2015 und 13. April 2015 sowie die hilfsweise ordentliche Kündigung vom 28. Juli 2015 und die Weiterbeschäftigung des Klägers.
Die Beklagte beschäftigt mehr als 10 Arbeitnehmer ausschließlich der Auszubildenden. Ein Betriebsrat besteht.
Der 1966 geborene Kläger, GdB von 50, ist gegenüber einem Kind zum Unterhalt verpflichtet. Er ist zwischenzeitlich geschieden. Im Betrieb ist seine Homosexualität bekannt.
Nachdem der Kläger bereits seit dem 4. Februar 1990 als Aushilfe beschäftigt war, ist er seit dem 3. Februar 1992 als Mitarbeiter im Mobilen Postservice mit einer Wochenarbeitszeit von 38,5 Stunden und einer Bruttomonatsvergütung in Höhe von 3.164,18 € zuzüglich Besitzstandszulage von 54,55 € (Entgeltgruppe 3 des Entgelttarifvertrags für die Arbeitnehmer der Deutschen Post AG) tätig. Er ist zuletzt beim Zustellstützpunkt Z-Stadt in der Niederlassung BRIEF Y.-Stadt eingesetzt.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden die Bestimmungen des Mantel-/Entgelttarifvertrages für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Deutschen Post AG sowie die sonstigen tariflichen Bestimmungen in ihrer jeweiligen Fassung als unmittelbar zwischen den Parteien vereinbart Anwendung. Die "Arbeitszeit in der Zustellung" ist in einer gleichlautenden Betriebsvereinbarung vom 2. Mai/25. Mai 2010 geregelt. Wegen des Inhalts dieser Betriebsvereinbarung "Arbeitszeit in der Zustellung" (im Folgenden: BV Arbeitszeit) wird auf Bl. 150 ff. d. A. Bezug genommen.
In der Vergangenheit hat der Kläger zwei Arbeitsunfälle erlitten. Aus einem solchen Arbeitsunfall wurde dem Kläger als weitere Unfallfolge ein psychisches Leiden mit einer MdE von 20 zuerkannt.
Mit Wirkung ab dem 23. Februar 2015 wurde der Kläger, nachdem er zuvor seit dem 15. Oktober 2014 zum Zustellstützpunkt X-Stadt versetzt worden war, von der Beklagten auf seinen Stammbezirk XYZ. zum Zustellstützpunkt Z-Stadt zurückversetzt.
Am späten Nachmittag des 6. März 2015 organisierte die zuständige Personaldisponentin W. V. wegen der Krankmeldung eines Zustellers des Zustellstützpunkts Z-Stadt den Personaleinsatz für Samstag, den 7. März 2015 und verständigte die Zustellteamleiter beim Zustellstützpunkt Z-Stadt per Fax. Am 7. März 2015 wies sodann jedenfalls der Zustellteamleiter U. T. den Kläger an, auf seinen Ausweichbezirk (Bezirk 00) zu wechseln. Der Arbeitnehmer S. R. Q. sollte statt des Klägers dessen Bezirk 000 ausfahren. Der Kläger lehnte die Anweisung, den Bezirk 00 auszufahren, ab,...