Entscheidungsstichwort (Thema)
Unwirksame außerordentliche Kündigung wegen Handgreiflichkeit gegenüber einer Arbeitskollegin auf dem Betriebsparkplatz bei zumutbarer Einhaltung ordentlicher Kündigungsfrist
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Handgreiflichkeit eines Arbeitnehmers auf dem Betriebsparkplatz gegenüber einer Arbeitskollegin, die zugleich seine Lebensgefährtin ist, kann einen an sich geeigneten Grund zur außerordentlichen Kündigung gemäß § 626 Abs. 1 BGB darstellen.
2. Im Rahmen der erforderlichen Interessenabwägung im Einzelfall unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist zu prüfen, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zumindest bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zuzumuten war und sich damit der Ausspruch einer ordentlichen Kündigung als milderes Mittel erweist (hier bejaht). Hierbei kann zu Gunsten des Gekündigten zu berücksichtigen sein, dass die Auswirkungen der Tätlichkeit geringfügig waren.
Normenkette
BGB § 622 Abs. 1, § 626; KSchG § 1 Abs. 2; BGB § 241 Abs. 2, § 626 Abs. 1; KSchG § 1 Abs. 2 S. 1 Alt. 2
Verfahrensgang
ArbG Koblenz (Entscheidung vom 20.11.2014; Aktenzeichen 10 Ca 350/14) |
Tenor
I.
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 20. November 2014 - 10 Ca 350/14 - teilweise wie folgt abgeändert:
- Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 20. Januar 2014, zugegangen am 21. Januar 2014, nicht mit sofortiger Wirkung, sondern zum 28. Februar 2014 aufgelöst worden ist.
- Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
III.
Die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz tragen die Parteien je zur Hälfte.
IV.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.
Der 1974 geborene, ledige und 3 Kindern zum Unterhalt verpflichtete Kläger war kraft schriftlichen Arbeitsvertrages vom 15. Oktober 2012 bei der Beklagten, einem Logistikunternehmen mit ca. 1.900 Beschäftigten am Standort K, ab 25. Oktober 2012 als Versandmitarbeiter im Bereich Problem Solve/Support beschäftigt, zuletzt zu einem Bruttomonatsgehalt von ca. 2.300,00 Euro. In seiner Funktion war der Kläger Ansprechpartner für Hilfestellungen bei Problemen von Kollegen beispielsweise beim Einpacken oder Versenden der Ware.
Am 09. Januar 2014 gerieten der Kläger und seine damalige Lebensgefährtin - und seit Juli 2014 nunmehrige Verlobte - N B, die zu diesem Zeitpunkt ebenfalls Mitarbeiterin der Beklagten war und sich noch in der Probezeit befand, während der gemeinsamen Fahrt mit dem Auto zur Frühschicht über eine Verspätung in Streit. Auf dem Betriebsparkplatz der Beklagten kam es in der Folge zwischen dem Kläger und der Zeugin B zu einer tätlichen Auseinandersetzung, deren Einzelheiten, erstinstanzlich zwischen den Parteien insgesamt umstritten waren, insbesondere, was den Ablauf der Konfrontation betrifft. Nach vom Arbeitsgericht durchgeführter Beweisaufnahme ist zwischen den Parteien im Berufungsverfahren unstreitig, dass der Mitarbeiter der Beklagten O, der sich wie die anliefernden LKW-Fahrer G und D in einiger Entfernung des hell beleuchteten Parkplatzes befand, gehört hat, wie der Kläger und die Zeugin B laut stritten, und dann beobachtet hat, dass der Kläger die Zeugin B gegen ein Auto stieß, so dass diese hörbar auf die Motorhaube des Fahrzeuges fiel. Der Zeuge O griff verbal in die Auseinandersetzung ein. Zuletzt verließ die Zeugin B das Betriebsgelände der Beklagten mit ihrem Fahrzeug. Am 10. Januar 2014 führte die Beklagte mit dem Kläger unter Teilnahme seines direkten Vorgesetzten, einer Mitarbeiterin der Personalabteilung, eines Betriebsratsmitglieds und eines weiteren Mitarbeiters ein Gespräch zum Vorgang vom Vortag, in dem der Kläger die Auffassung vertrat, ein Eingreifen des Zeugen sei nicht geboten gewesen.
Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 20. Januar 2014, dem Kläger zugegangen am 21. Januar 2014, außerordentlich, hilfsweise ordentlich zum nächstzulässigen Zeitpunkt. Zuvor hatte sie den bei ihr gebildeten Betriebsrat mit Anhörungsbogen vom 14. Januar 2014 (Bl. 57 ff. d. A.) angehört. Der Betriebsrat hat der Kündigung am 17. Januar 2014 widersprochen.
Der Kläger hat am beim Arbeitsgericht Koblenz am 22. Januar 2014 Kündigungsschutzklage erhoben.
Er hat erstinstanzlich im Wesentlichen vorgetragen, der Sachverhalt werde von der Beklagten falsch dargestellt. Die Zeugin B habe ihm am 09. Januar 2014 unzutreffend eine Verspätung angelastet und sich Sorgen wegen der Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis gemacht, ohne dass er ihr das habe ausreden können. Im Zuge des Streits habe die Zeugin B ihn gegen den Hals geschlagen, woraufhin er ihr einen abwehrenden leichten - unterhalb einer Ohrfeige zu gewichtenden - Stoß versetzt habe, der genügt habe, um sie aus dem Gleichgewicht zu bringen, weshalb sie auf der Bordsteinkante des Fußweges umgeknickt und seitlich auf ein parkendes Auto...