Entscheidungsstichwort (Thema)
Fristlose Kündigung eines Etagenkellners bei Tätlichkeit gegenüber einer Arbeitskollegin. Einhaltung der Kündigungsfrist bei erneuter Beteiligung des Betriebsrats nach Zustimmung des Integrationsamtes. Ermessensentscheidung über die Aussetzung des Kündigungsschutzverfahrens wegen Vorgreiflichkeit des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Zustimmung des Integrationsamtes. Unbegründete Kündigungsschutzklage bei unzureichenden Darlegungen des Arbeitnehmers zur Zumutbarkeit seiner Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist
Leitsatz (redaktionell)
1. Greift ein als Etagenkellner in einem Hotelbetrieb beschäftigter Arbeitnehmer eine Arbeitskollegin tätlich an, indem er mit beiden Fäusten auf ihren linken Schulter-Brustbereich schlägt, so dass diese durch die Wucht des Schlages nach hinten fällt, ist der Arbeitgeberin die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist in Abwägung der beiderseitigen Interessen beider Parteien im Einzelfall auch dann nicht zuzumuten, wenn der Arbeitnehmer auf nachhaltige und lautstarke Vorhaltungen der Arbeitskollegin diese als vermeintliche Provokateurin beiseite gestoßen hat, da vor dem Hintergrund dieser nachhaltigen Beeinträchtigung des ungestörten Betriebsablaufs mit einer Wiederholung von Tätlichkeiten zu rechnen ist. Trotz eines jahrelangen beanstandungsfreien Verlaufs des Beschäftigungsverhältnisses und der zu erwartenden Schwierigkeiten eines nicht unterhaltspflichtigen Arbeitnehmers, einen neuen Arbeitsplatz zu finden, kann das Interesse der Arbeitgeberin, ihre Beschäftigten vor Angriffen eines Mitarbeiters zu schützen, im Einzelfall angesichts einer nicht geringfügigen Tätlichkeit höher bewertet werden als das Interesse des Arbeitnehmers an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes.
2. Hat die Arbeitgeberin fristgerecht einen Antrag gemäß § 91 Abs. 2 SGB IX beim Integrationsamt gestellt und das Integrationsamt die Zustimmung zur Kündigung nach Ablauf der zweiwöchigen Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB erteilt, erklärt die Arbeitgeberin, der der zustimmende Bescheid am Tag des Ablaufs der Frist nach § 91 Abs. 3 Satz 1 SGB IX zugeht, auch dann die Kündigung ohne schuldhaftes Zögern, wenn sie nach Erteilung der Zustimmung durch das Integrationsamt den bei ihr gebildeten Betriebsrat unter Berücksichtigung der Fristen des § 102 Abs. 2 Satz 3 BetrVG innerhalb kürzest möglicher Zeit erneut zur beabsichtigten Kündigung anhört, um diesen angesichts einer erst im Verwaltungsverfahren vor dem Integrationsamt bekanntgewordenen Zeugenausaussage, eines ärztlichen Attests sowie einer Stellungnahme des Arbeitnehmers im Rahmen der vertrauensvollen Zusammenarbeit nach § 2 Abs. 1 BetrVG erneut zu beteiligen.
3. Eine Aussetzung des Kündigungsschutzverfahrens nach § 148 ZPO wegen Vorgreiflichkeit des vom Arbeitnehmer gegen die erteilte Zustimmung betriebenen verwaltungsgerichtlichen Verfahrens bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Zustimmung liegt im pflichtgemäßen Ermessen der Gerichte für Arbeitssachen. Angesichts der Tatsache, dass in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses dem allgemeinen Beschleunigungsgebot des § 9 Abs. 1 ArbGG besondere Bedeutung zu kommt, gibt die Rechtslage im Falle sämtlich zu Lasten des Arbeitnehmers ergangener Entscheidungen im Verfahren über die Wirksamkeit der zustimmenden Entscheidung des Integrationsamtes keinen Anlass zu Zweifeln daran, dass das Integrationsamt die Zustimmung zur Kündigung zu Recht erteilt hat.
Normenkette
BetrVG § 2 Abs. 1; BGB § 626 Abs. 1-2; KSchG § 13 Abs. 1 S. 2, § 4 S. 1; SGB IX §§ 85, 91 Abs. 1-3, 5; ZPO §§ 148, 286; BGB § 626 Abs. 2 S. 1; SGB IX § 91 Abs. 3 S. 1; BetrVG § 102 Abs. 2 S. 3; ArbGG § 9 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Koblenz (Entscheidung vom 10.09.2015; Aktenzeichen 7 Ca 4371/14) |
Tenor
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.
Der 1967 geborene, ledige Kläger war ab 01. April 1995 bei der Beklagten in deren Hotelbetrieb in B als Etagenhelfer/ Minibar Kellner beschäftigt. Ihm ist ein Grad der Behinderung von 70 zuerkannt.
Nach zwei für den Kläger arbeitsfreien Tagen am 06. und 07.Oktober 2014 kam es am 08. Oktober 2014 während der Arbeitszeit im Keller des Hotels zu einer Diskussion des Klägers mit der Hausdamenassistentin B-Z wegen des unordentlichen Zustands des Etagen-Offices, wo seit Tagen Flaschen und Teller nicht weggeräumt worden waren. Der Verlauf der Auseinandersetzung ist zwischen den Parteien streitig, insbesondere, ob der Kläger - wie von der Beklagten behauptet - die Zeugin tätlich angegriffen hat, indem er ihr mit beiden Fäusten auf Brust und Schulter schlug, so dass sie mit dem Rücken gege...