Entscheidungsstichwort (Thema)

Erkältungskrankheiten bei negativer Gesundheitsprognose. Häufige Kurzerkrankungen als Grundlage einer negativen Gesundheitsprognose. Wirksamkeit einer krankheitsbedingten Kündigung. Entkräftung des Indizes allgemeiner Anfälligkeit durch Arbeitnehmer

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Häufige Kurzerkrankungen, die auf einmaligen Ereignissen wie dem Infekt der oberen Luftwege oder der Verletzung der Hand beruhen, sind für eine negative Gesundheitsprognose nicht geeignet.

2. Der Arbeitgeber muss Umstände für eine mögliche Krankheitsanfälligkeit des Arbeitnehmers vortragen; tut er dies wie hier nicht, dann wäre die Einholung eines Sachverständigengutachtens bloße Ausforschung.

 

Normenkette

KSchG § 1 Abs. 2 S. 1, §§ 4, 7; ZPO § 97 Abs. 1, § 138 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Ludwigshafen (Entscheidung vom 14.07.2020; Aktenzeichen 4 Ca 1908/19)

 

Tenor

  1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 14. Juli 2020, Az.: 4 Ca 1908/19, wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
  2. Die Revision wird nicht zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen krankheitsbedingten Kündigung vom 17. Dezember 2019 und einen Weiterbeschäftigungsanspruch des Klägers.

Der 1971 geborene, verheiratete Kläger ist seit dem 1. August 1987 bei der Beklagten als Verpackungsmittelmechaniker/Maschinenführer beschäftigt. Sein durchschnittliches Bruttomonatsgehalt belief sich zuletzt auf circa 3.300,00 EUR.

Die Beklagte beschäftigt mehr als 10 Arbeitnehmer ausschließlich der Auszubildenden. Es besteht ein Betriebsrat.

Seit dem 1. Januar 2017 bis zum 9. Dezember 2019 traten beim Kläger die folgenden Arbeitsunfähigkeitszeiten auf: im Jahr 2017 43 Arbeitstage mit Entgeltfortzahlung, im Jahr 2018 44,5 Arbeitstage mit Entgeltfortzahlung und im Jahr 2019 Arbeitsunfähigkeit an 119 Arbeitstagen, von denen für 48 Arbeitstage Entgeltfortzahlung zu leisten war.

Nach dem Vortrag des Klägers, der auf den Auskünften seiner Krankenkasse beruht, lagen den Arbeitsunfähigkeitszeiten folgende Erkrankungen zu Grunde:

2017

2. Januar bis 6. Januar 2017

5

akute Infektion der oberen Atemwege

19. Juni bis 30. Juni 2017

10

Synovitis und Tenosynovitis

28. August bis 15. September 2017

15

oberflächliche Verletzung der Hand und des Handgelenks (offene Wunde)

26. Oktober bis 3. November 2017

5

Arthritis

18. Dezember bis 29. Dezember 2017

8

Ganglion ["Überbein"]

2018

6. März bis 16. März 2018

8,5

akute Infektion der oberen Atemwege

22. Mai bis 25. Mai 2018

4

Ganglion

1. August bis 7. September 2018

28

Ganglion

18. Dezember bis 22. Dezember 2018

4

Stauchung und Zerrung im Kniebereich

2019

14. Januar bis 10. Juni 2019

101

Tendinitis calcarea im Schulterbereich, Impingementsyndrom der Schulter, Bursitis im Schulterbereich

23. September bis 11. Oktober 2019

14

Metatarsalgie ["Mittelfußschmerzen"]

3. Dezember bis 6. Dezember 2019

4

Radikulopathie im Lumbalbereich.

In den Jahren 2017 bis 2019 entstanden Entgeltfortzahlungskosten in Höhe von insgesamt 20.542,00 € zuzüglich Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung.

Mit dem Kläger fand am 2. Dezember 2019 ein Gespräch im Rahmen eines betrieblichen Eingliederungsmanagements statt. Die Einzelheiten des BEM-Verfahrens sind streitig, insbesondere, ob dem BEM eine ordnungsgemäße Einladung des Klägers (Bl. 49 d. A.) zu Grunde lag.

Mit Schreiben vom 9. Dezember 2019, wegen dessen Inhalts auf Bl. 51 ff. d. A. Bezug genommen wird, hörte die Beklagte den bei ihr gebildeten Betriebsrat zu einer personenbedingten Kündigung des Klägers an. Der Betriebsrat übergab seine Stellungnahme am 13. Dezember 2019 und teilte mit, dass er keine Ablehnung oder Zustimmung aussprechen werde.

Mit Schreiben vom 17. Dezember 2019 (Bl. 4 d. A.), das dem Kläger am selben Tag zuging, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31. Juli 2020. Gegen diese Kündigung wendet sich der Kläger mit seiner am 27. Dezember 2019 beim Arbeitsgericht eingegangenen, der Beklagten am 14. Januar 2020 zugestellten Kündigungsschutzklage.

Der Kläger hat erstinstanzlich vorgetragen,

die Voraussetzungen für eine krankheitsbedingte Kündigung seien nicht gegeben. Es bestehe keine negative Gesundheitsprognose. Sämtliche Erkrankungen, die seit 2017 zur Arbeitsunfähigkeit geführt hätten, seien ausgeheilt und weitere Arbeitsunfähigkeitszeiten deswegen nicht zu erwarten. Auch eine allgemeine Krankheitsanfälligkeit liege nicht vor.

Die akuten Infektionen der oberen Atemwege vom 2. bis 6. Januar 2017 sowie vom 6. bis 16. März 2018 lägen in typischer Zeit für Erkältungskrankheiten, hätten keine ungewöhnliche Dauer und seien in anderen Zeiten - auch im gesamten Jahr 2019 - nicht aufgetreten. Es handele sich nicht um prognosefähige Fehlzeiten.

Im Juni 2017 sei er wegen einer akuten Entzündung der Sehnen und der Gelenkshaut im Bereich der Hand erkrankt gewesen. Auch diese Erkrankung sei folgenlos ausgeheilt. Schlüsse auf zukünftige Arbeitsunfähigkeitszeiten ließen sich hieraus nicht ziehen und seien aufgrund d...

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