Entscheidungsstichwort (Thema)
Auflösungsantrag. Beschäftigungsanspruch. Kündigung. Strafanzeige. Kündigung wegen Strafanzeige gegen Arbeitgeber
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine offensichtlich unwirksame Kündigung, die den allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch unberührt lässt, liegt nur dann vor, wenn sich schon aus dem eigenen Vortrag des Arbeitgebers ohne Beweiserhebung und ohne dass ein Beurteilungsspielraum gegeben wäre, jedem Kundigen die Unwirksamkeit der Kündigung geradezu aufdrängen muss.
2. Eine Strafanzeige des Arbeitnehmers darf sich wegen der arbeitsvertraglichen Nebenpflichten nicht als eine unverhältnismäßige Reaktion auf ein Verhalten des Arbeitgebers oder seiner Repräsentanten darstellen und kann zur Kündigung berechtigen.
Normenkette
BGB § 626 Abs. 1; KSchG §§ 10, 9
Verfahrensgang
ArbG Kaiserslautern (Urteil vom 18.09.2008; Aktenzeichen 2 Ca 441/08) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 18.09.2008, Az.: 2 Ca 441/08, teilweise abgeändert und zur Klarstellung wie folgt neu gefasst:
Unter Abweisung der Klage im Übrigen wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die zwei außerordentlichen Kündigungen der Beklagten vom 18.08.2008 und vom 20.08.2008 aufgelöst worden ist.
2. Die weitergehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
3. Der Auflösungsantrag der Beklagten wird zurückgewiesen.
4. Von den erstinstanzlichen Kosten hat die Beklagte zu 60 % und die Klägerin 40 % zu tragen.
5. Von den Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte 75 % und die Klägerin zu 25 % zu tragen.
6. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das erstinstanzliche Verfahren auf EUR 7.000,00 und für das Berufungsverfahren auf EUR 5.600,00 festgesetzt.
7. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit zweier außerordentlicher Kündigungen der Beklagten vom 18.08.2008 und vom 20.08.2008, die tatsächliche Beschäftigung der Klägerin sowie zweitinstanzlich auch über einen Auflösungsantrag der Beklagten.
Die am 05.10.1950 geborene Klägerin ist verheiratet und Mutter von zwei volljährigen Kindern. Sie ist seit dem 01.04.1984 im Kindergarten der beklagten Kirchengemeinde als Erzieherin zu einem Bruttomonatsgehalt von zuletzt ca. EUR 1.400,00 beschäftigt. Seit Juni 2008 ist ein GdB von 30 festgestellt worden. Die wöchentliche Arbeitszeit der Klägerin beträgt seit Dienstbeginn 20 Stunden. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft einzelvertraglicher Vereinbarung der BAT (jetzt: TVöD) im Bereich der Evangelischen Kirche der Pfalz Anwendung. Nach dem Tarifvertrag ist die Klägerin ordentlich unkündbar. Die beklagte Kirchengemeinde beschäftigt elf Arbeitnehmer, darunter drei in Vollzeit. Die Beklagte gehört dem Protestantischen Dekanat A-Stadt an. Die Arbeitnehmer des Dekanats, dem elf Pfarrämter und fünf Kindertagesstätten zugeordnet sind, haben eine gemeinsame Mitarbeitervertretung gewählt.
Im Frühjahr 2006 hat die Klägerin einen Rentenantrag gestellt. Nach Ablehnung ihres Antrags und erfolgloser Durchführung des Widerspruchsverfahrens führte sie vor dem Sozialgericht Speyer (Az.: S 11 R 256/07) einen Rechtsstreit auf Bewilligung einer Erwerbsunfähigkeitsrente. Das Sozialgericht hat die Klage abgewiesen, das Landessozialgericht hat Anfang des Jahres 2009 die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Die Klägerin hatte seit 2002 erhebliche krankheitsbedingte Fehlzeiten. Zuletzt war sie in der Zeit vom 02.01.2007 bis zum 03.03.2008 ununterbrochen arbeitsunfähig krankgeschrieben.
Mit Schreiben vom 19.02.2008 (Bl. 15 d. Akte 2 Ca 1160/08) wandten sich der Pfarrer, der stellvertretende Vorsitzende des Presbyteriums und die Leiterin des Kindergartens der Beklagten an den Vorsitzenden der 11. Kammer des Sozialgerichts Speyer und baten dringend um einen Gesprächstermin bzw. eine Anhörung. Das Schreiben hat – soweit vorliegend von Interesse – folgenden Wortlaut:
„Der Grund für unsere dringende Bitte ist, dass für uns als Träger und Leitung der Einrichtung die Krankheit von Frau C. eine von uns n i c h t mehr verantwortbare Gefährdung der Kinder bedeutet. Diese Verantwortung können und werden wir n i c h t mehr übernehmen.”
Am 05.03.2008 stellte sich die Klägerin auf Veranlassung der Beklagten beim Gesundheitsamt A-Stadt zur Begutachtung vor. Im amtsärztlichem Attest vom 05.03.2008 (Bl. 29 d. A.) wurde bescheinigt, dass die Klägerin
„ab sofort und auf Dauer dienstunfähig” ist.
Wenige Tage später legte die Klägerin der Beklagten ein ärztliches Attest der Orthopäden Dres. F./ G. vom 10.03.2008 (Bl. 20 d. A.) mit folgendem Wortlaut vor:
„C. … ist aus gesundheitlicher Sicht ab sofort bis auf Weiteres in der Lage, die Tätigkeit in Ihrem Beruf als Erzieherin für die Dauer von 2 h täglich aufzunehmen.”
Mit Schreiben vom 13.03.2008 (Bl. 30 d. A.) teilte die Amtsärztin des Gesundheitsamtes der Beklagten mit, dass sie in einem Telefongespräch mit dem behandelnden Orthopäden Dr. G. die differenzierte Einschätzung bezüglich der Arbeitsfähi...