Entscheidungsstichwort (Thema)

Schmerzensgeldanspruch bei vorsätzlicher Körperverletzung durch Arbeitskollegen. Arbeitnehmerhaftung für nicht betriebsbezogene Handlung im Rahmen gefahrenträchtiger Neckerei

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Entscheidend für das Vorliegen einer betrieblichen Tätigkeit und das Eingreifen des Haftungsausschlusses im Sinne des § 105 Abs. 1 SGB VII ist die Verursachung des Schadensereignisses durch eine Tätigkeit des Schädigers, die ihm von dem Betrieb oder für den Betrieb übertragen ist oder die von ihm im Betriebsinteresse ausgeführt wird. Maßgeblich für die Haftungsfreistellung ist der Umstand, dass der Schaden in Ausführung einer betriebsbezogenen Tätigkeit und nicht bei Gelegenheit der Tätigkeit im Betrieb durch den Schädiger verursacht wird, so dass er nur dem persönlich-privaten Bereich des schädigenden Arbeitnehmers zuzurechnen ist.

2. Um eine persönlich-private Angelegenheit des schädigenden Arbeitnehmers handelt es sich insbesondere, wenn der Schaden infolge einer neben der betrieblichen Arbeit verübten gefahrenträchtigen Spielerei, Neckerei oder Schlägerei eintritt. Die Betriebsbezogenheit einer Tätigkeit entfällt immer dann, wenn die schädigende Handlung nach ihrer Anlage und der Intention des Schädigers erst gar nicht auf die Förderung der Betriebsinteressen ausgerichtet ist oder ihnen gar zuwiderläuft.

3. Bringt ein Arbeitnehmer einen Arbeitskollegen vorsätzlich zu Fall, indem er ihm auf den Fuß tritt und gleichzeitig schubst, so dass der Kollege stürzt und sich dabei verletzt, ist die zum Schadensereignis führende Handlung nach ihrer Anlage und Intention eindeutig nicht auf die Förderung der Betriebsinteressen gerichtet sondern ihnen zuwiderlaufend.

4. Kommt es dem Schädiger gerade darauf an, den Arbeitskollegen mit seiner Vorgehensweise zu Fall zu bringen, nimmt er neben der vorsätzlichen Herbeiführung des Sturzes auch eine mögliche Verletzung des Körpers oder der Gesundheit des Arbeitskollegen zumindest billigend in Kauf, auch wenn dies von ihm nicht gewünscht oder beabsichtigt ist. Unter diesen Umständen greift das Haftungsprivileg des § 105 Abs. 1 SGB VII nicht ein, so dass unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls ein Schmerzensgeld in Höhe von 700 € als angemessen und ausreichend erscheint.

 

Normenkette

BGB § 253 Abs. 2, § 823 Abs. 1; SGB VII § 105 Abs. 1; ZPO § 286

 

Verfahrensgang

ArbG Mainz (Entscheidung vom 10.06.2015; Aktenzeichen 1 Ca 2076/14)

 

Tenor

  • I.

    Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 10. Juni 2015 - 1 Ca 2076/14 - abgeändert:

    Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 700,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 07.12.2013 zu zahlen.

  • II.

    Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens tragen der Kläger zu 1/6 und der Beklagte zu 5/6, mit Ausnahme der durch die Anrufung des unzuständigen Amtsgerichts N-Stadt am Rhein entstandenen Kosten, die der Kläger zu tragen hat.

    Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Beklagte.

  • III.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers auf Zahlung von Schmerzensgeld.

Der Kläger und der Beklagte waren Arbeitskollegen im G. in A-Stadt. Dort kam es am 24. Oktober 2013 zu einem Gespräch zwischen den Parteien, nach dem der Kläger auf dem Boden lag. Die Einzelheiten dieses Vorfalls vom 24. Oktober 2013 sind zwischen den Parteien streitig.

Mit seiner am 13. Mai 2014 beim Amtsgericht N-Stadt am Rhein eingegangenen Klage hat der Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 700,00 EUR und die Erstattung außergerichtlicher Anwaltskosten in Höhe von 147,56 EUR geltend gemacht. Mit - rechtskräftigem - Beschluss vom 18. August 2014 hat das Amtsgericht N-Stadt am Rhein den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht Mainz verwiesen. Den auf Erstattung von Anwaltskosten gerichteten Klageantrag zu 2) hat der Kläger im Kammertermin vom 04. März 2015 vor dem Arbeitsgericht Mainz sodann zurückgenommen.

Wegen des wechselseitigen Vorbringens der Parteien erster Instanz wird auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Mainz vom 10. Juni 2015 - 1 Ca 2076/14 - und ergänzend auf die erstinstanzlich eingereichten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen verwiesen.

Der Kläger hat erstinstanzlich zuletzt beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld, mindestens aber 700,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 07. Dezember 2013 zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit Urteil vom 10. Juni 2015 - 1 Ca 2076/14 - hat das Arbeitsgericht Mainz die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der darlegungs- und beweisbelastete Kläger habe nicht ausreichend substantiiert und widerspruchsfrei dargetan, dass der Beklagte ihn vorsätzlich verletzt habe. Der Kläger habe seinen Vortrag hierzu mehrfach geändert. Zwar habe der Kläger zuletzt mit seinem Schriftsat...

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