Entscheidungsstichwort (Thema)

Regelmäßige Pflicht zur Abmahnung vor Kündigung bei steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers. Substantiierte Darlegungslast der Prozessparteien. Grundsätze des Beweismaßes im Rahmen des § 286 ZPO. Anforderungen an Verdachtskündigung. Vorwerfbare Strafanzeige als Kündigungsgrund

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der fristlose Kündigungsgrund in § 626 BGB ist zweistufig zu prüfen: Der Grund muss an sich für eine fristlose Kündigung geeignet sein und darüber hinaus müssen die Interessen des Arbeitgebers im Rahmen einer Abwägung überwiegen.

2. Bei fehlendem dringenden Tatverdacht ist eine Verdachtskündigung unwirksam.

3. Eine von Arbeitnehmerseite initiierte Strafanzeige ohne Schädigungsabsicht ist kein Kündigungsgrund.

 

Normenkette

BGB § 626; KSchG § 1; ZPO § 286; ArbGG § 69 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Kaiserslautern (Entscheidung vom 15.01.2020; Aktenzeichen 6 Ca 414/19)

 

Tenor

  1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern - Auswärtige Kammern Pirmasens - vom 15.01.2020 - Az.: 6 Ca 414/19 P - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
  2. Die Revision wird nicht zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits streiten darüber, ob das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis aufgrund einer außerordentlichen Tat-, hilfsweise Verdachtskündigung bzw. einer hilfsweisen ordentlichen Kündigung zum nächstmöglichen Termin beendet worden ist, oder aber nicht.

Der Kläger ist seit dem 15.08.2013 bei der Beklagten als Erzieher im Jugendheim "M." in R-Stadt als Erzieher zu einem Bruttomonatsgehalt in Höhe von 3.020,00 € beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet das Kündigungsschutzgesetz Anwendung.

Am 17.09.2019 fand die Heimleiterin des Jugendheims "M." ein auf den 19.09.2019 datiertes anonymes Schreiben an das Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung des Landes Rheinland-Pfalz im Briefkasten der Beklagten vor. In diesem Schreiben werden folgende Vorwürfe erhoben:

"...

- aufgrund von Personalmangel werden zeitweise Jugendliche durch nicht qualifiziertes bzw. Personal ohne entsprechende Berufsausbildung betreut (Praktikanten/innen, Erzieher/innen in der Ausbildung). Dies vor dem Hintergrund, dass in diesem Heim eine Erzieherin, C. K., durch straffällige Jugendliche getötet wurde. Diese Behauptung kann durch Dienstpläne und Dienstbucheinträge belegt werden.

- Jugendliche, deren Betreuungsmaßnahme im Monat ca. 15.000,00 € kostet, die sich aus der zu erbringenden Leistung des Jhm errechnet (u.a. schulische Förderung) werden in der heiminternen Schule durch nicht qualifiziertes Personal (keine bzw. nicht ausreichend eingestellte Lehrer) beschult.

- Jugendliche werden im Jhm aufgenommen, deren Problematik durch die Konzeption, räumliche Ausstattung und fehlende Qualifizierung des Personals ausgeschlossen ist (psychische Probleme, Drogenabhängigkeit, Behinderung). ..."

In dem Schreiben war zudem ein Verteiler angegeben:

"...

- landesamt für soziales, jugend und versorgung des landes rheinland-pfalz,

- landesgeschäftsstelle cdu rheinland-pfalz,

- spd landesverband rheinland-pfalz

- fdp landesverband rheinland-pfalz,

- afd landesverband rheinland-pfalz,

- verlag d. r.,

- p. zeitung

..."

Dem Schreiben waren zwei Auszüge des privaten Email-Accounts des Klägers beigefügt. Aus diesen Dateien ergibt sich, dass der Kläger von M. A. an: J.@xxxxxx.de ein als Firma C. PDF.pdf bezeichnetes Emailschreiben von einer M. A. am 16.09.2019 um 13:49 Uhr erhalten hat; (Bl. 71 f. d. A.). Frau M. A. ist die Tochter des Klägers.

Das anonyme Schreiben vom 19.09.2019 ging am 20.09.2019 bei dem Landesamt für Soziales und Jugend ein. Die Beklagte wurde von dort am 24.09.2019 zu einer Stellungnahme aufgefordert, die am 25.09.2019 erfolgte und hinsichtlich deren Inhalts im Einzelnen auf Bl. 75 ff. d. A. Bezug genommen wird. Auch die P. Zeitung hat das anonyme Schreiben erhalten.

Dem Kläger wurde sodann mit Schreiben vom 25.09.2019 der Sachverhalt vorgehalten und ihm Gelegenheit gegeben, sich schriftlich per Email oder Fax bis zum 30.09.2019, 9:00 Uhr, zu äußern. Die Stellungnahme des Klägers ging am 30.09.2019 um 11.50 Uhr bei der Beklagten per Fax ein; hinsichtlich dessen Inhalts wird auf Bl. 13 ff. d. A. Bezug genommen.

Mit Schreiben vom 30.09.2019 wurde der Betriebsrat der Beklagten zu den beabsichtigten Kündigungen gehört; wegen des Inhalts des Anhörungsschreibens wird auf Bl. 81 ff. d. A. Bezug genommen. Der Betriebsrat hat sich zu den beabsichtigten Kündigungen nicht geäußert.

Daraufhin kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 08.10.2019, das dem Kläger am selben Tage zuging, das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien fristlos und hilfsweise ordentlich.

Dagegen wendet sich der Kläger mit der hier streitgegenständlichen und am 10.10.2019 beim Arbeitsgericht eingegangenen, am 15.10.2019 der Beklagten zugestellten Kündigungsschutzklage.

Der Kläger hat vorgetragen,

er sei nicht der Verfasser des Schreibens vom 19.09.2019.

Er bestreite, die im Kündigungsschreiben benannten Informationen an das Landesamt für Soz...

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