Entscheidungsstichwort (Thema)
Unzulässiger Widerklageantrag. Außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund. Tätlicher Angriff auf Arbeitskollegen als wichtiger Grund. Ausnahmen von der Bindung des Berufungsgerichts an Tatsachenfeststellungen der 1. Instanz. Erwiesene Tatsache nach der Überzeugung des Gerichts im Zivilprozess
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein Widerklageantrag, der lediglich das Spiegelbild des Klageantrages als dessen kontradiktorisches Gegenteil darstellt, ist unzulässig.
2. Ein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung liegt vor, wenn ein gravierendes Fehlverhalten gegeben ist und dem Kündigungsberechtigten ein weiteres Festhalten am Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der (fiktiven) Kündigungsfrist nicht zuzumuten ist.
3. Tätlichkeiten unter Arbeitnehmern sind grundsätzlich geeignet, einen wichtigen Grund abzugeben.
4. Grundsätzlich ist das Berufungsgericht an Tatsachenfeststellungen des ersten Rechtszuges gebunden. Ausnahmen gelten aber, wenn dem Eingangsgericht Fehler unterlaufen sind oder erhebliche Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit entscheidungserheblicher Feststellungen bestehen.
5. Für die Überzeugung des Tatrichters ist es notwendig, aber auch ausreichend, dass er eine Gewissheit über die Wahrheit einer behaupteten Tatsache gewonnen hat, die Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen.
Normenkette
BGB § 626; KSchG § 1; ZPO §§ 141, 286, 529 Abs. 1 Nr. 1; ArbGG § 64 Abs. 6 S. 1
Verfahrensgang
ArbG Koblenz (Entscheidung vom 04.12.2017; Aktenzeichen 4 Ca 3709/16) |
Tenor
- Das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 04.12.2017 - 4 Ca 3709/16 - wird auf die Berufung des Klägers abgeändert.
- Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die außerordentliche fristlose Kündigung vom 17.11.2016 und nicht durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 17.11.2016, jeweils zugegangen am 18.11.2016, aufgelöst worden ist.
- Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien auch nicht durch eine von der Beklagten behauptete Eigenkündigung des Klägers vom 16.11.2016 zum 31.12.2016 beendet worden ist.
- Die Hilfswiderklage wird abgewiesen.
- Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
- Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung der Beklagten sowie darüber, ob auch der Kläger eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses erklärt hat.
Der am 15. Oktober 1972 geborene Kläger ist verheiratet und hat vier Kinder. Er war bei der Beklagten seit dem 1. Oktober 2006 als Küchenhilfe zunächst auf Grundlage eines befristeten Arbeitsvertrags vom 18. September 2006 (Bl. 24 ff. d.A.) und dann auf Grundlage eines unbefristeten Arbeitsvertrags vom 27. September 2007 (Bl. 27 ff. d.A.) zu einer Bruttomonatsvergütung von zuletzt rund 1.330,30 Euro beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kraft einzelvertraglicher Bezugnahme der "Manteltarifvertrag für das Hotel und Gaststättengewerbe" mit den dort in § 2 Satz 4 geregelten Kündigungsfristen Anwendung; diese entsprechen den gesetzlichen Fristen. Der Kläger, der sich erstinstanzlich wegen des Verlusts seines linken Auges - er trägt eine Augenprothese - auf das Vorliegen einer offensichtlichen Schwerbehinderung berufen hat, hat im Berufungsverfahren unbestritten mitgeteilt, dass bei ihm "inzwischen" ein Grad der Behinderung von 30 anerkannt worden sei; seinem Antrag auf Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen vom 30. Januar 2018 wurde gemäß einem vom Kläger vorgelegten Schreiben der Agentur für Arbeit Saarland vom 1. März 2018 (Bl. 394 d.A.) nicht entsprochen.
Die Beklagte erbringt betriebsgastronomische Leistungen (Catering) und beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer iSd. § 23 KSchG. Sie betreibt ua. eine Kantine auf dem Gelände eines Automobilzulieferers in K, wo der Kläger zuletzt eingesetzt war. Betriebsleiter dieser Kantine und Vorgesetzter des Klägers ist Herr E., geboren am 12. September 1972. Herr E. war nicht kündigungsbefugt.
Am 16. November 2016 kam es um die Mittagszeit in der Kantine zu einer Auseinandersetzung zwischen dem Kläger und Herrn E.. Die Einzelheiten sind zwischen den Parteien streitig. Als der Kläger am 17. November 2016 die Arbeit wieder aufnehmen wollte, wurde ihm ein Hausverbot erteilt.
Mit Schreiben vom 17. November 2016 (Bl. 30 d.A.) kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis "außerordentlich fristlos mit sofortiger Wirkung, hilfsweise fristgerecht zum nächst möglichen Zeitpunkt". Das Kündigungsschreiben ging dem Kläger am 18. November 2016 zu.
Mit seiner am 28. November 2016 beim Arbeitsgericht eingegangenen, der Beklagten am 6. Dezember 2016 zugestellten Klage hat sich der Kläger (u.a.) gegen die Kündigung vom 17. November 2016 gewandt.
Er hat vorgetragen,
Tatsachen, die einen wichtigen Grund iSd. § 626 BGB oder einen verhaltensbedingten Kündigungsgrund iSd. § 1 Abs. 2 KSchG darstellten, lägen nicht vor.
Die Vorgänge am 16. Novembe...