Entscheidungsstichwort (Thema)

Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Staplerfahrers wegen Verurteilung zu einer zu verbüßenden Freiheitsstrafe

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ist ein Arbeitnehmer zu einer zu verbüßenden Freiheitsstrafe verurteilt worden, so ist der Arbeitgeber zur verhaltensbedingten ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses berechtigt, wenn im Kündigungszeitpunkt noch eine Haftstrafe von mehr als zwei Jahren zu verbüßen und eine Entlassung vor Ablauf von zwei Jahren nicht sicher zu erwarten ist, da dem Arbeitgeber in einem solchen Fall regelmäßig nicht zugemutet werden kann, lediglich Überbrückungsmaßnahmen zu ergreifen und auf eine dauerhafte Neubesetzung des Arbeitsplatzes zu verzichten.

2. Ist von einer Haftzeit von weniger als zwei Jahren auszugehen, so ist dem Arbeitgeber zuzumuten, diesen Zeitraum durch eine bis zum Zeitpunkt der Haftentlassung befristete Einstellung eines anderen Arbeitnehmers zu überbrücken und so von einer dauerhaften Neubesetzung des Arbeitsplatzes abzusehen. Bei Abschluss eines für die Dauer der verbleibenden Haftzeit (hier: von 22 Monaten) befristeten Arbeitsvertrages ist in solchen Fällen bereits deshalb mit keinem Risiko verbunden, weil eine solche Befristung gem. § 14 Abs. 2 TzBfG keines sachlichen Grundes bedarf.

 

Normenkette

KSchG § 1 Abs. 1-2

 

Verfahrensgang

ArbG Mainz (Entscheidung vom 15.06.2016; Aktenzeichen 4 Ca 262/16)

 

Tenor

  • I.

    Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 15.6.2016 - 4 Ca 262/16 - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen wie folgt abgeändert:

    1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 3.2.2016 aufgelöst worden ist.
    2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
  • II.

    Der Kläger hat 25 % und die Beklagte 75 % der Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

  • III.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.

Der am 05.09.1963 geborene Kläger war bei der Beklagten seit dem 19.01.1981 als Staplerfahrer beschäftigt. Die Beklagte beschäftigt in der Regel mehr als 10 Arbeitnehmer ausschließlich der Auszubildenden.

Am 23.05.2015 attackierte der Kläger in einer Bar mit einem Messer eine Person und verletzte diese dabei lebensbedrohlich. Ab dem 24.05.2015 befand er sich (zunächst) in Untersuchungshaft. Mit Urteil des Landgerichts Mainz vom 18.01.2016 wurde er wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Zugleich wurde er jedoch aus der Untersuchungshaft entlassen. Am 19.01.2016 bot der Kläger seine Arbeitsleistung der Beklagten an. Diese stellte ihn daraufhin von der Arbeit frei.

Mit Schreiben vom 02.02.2016 hörte die Beklagte den bei ihr gebildeten Betriebsrat zu einer beabsichtigten ordentlichen Kündigung des Klägers an. Am 03.02.2016 teilte der Betriebsrat mit, hierzu keine Stellungnahme abgeben zu wollen. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis sodann mit Schreiben vom 03.02.2016, welches dem Kläger noch am selben Tag zuging, ordentlich zum 30.09.2016.

Gegen diese Kündigung richtet sich die vom Kläger am 11.02.2016 beim Arbeitsgericht eingereichter Kündigungsschutzklage. Am 30.09.2016 hat der Kläger seine Haft angetreten.

Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes sowie des erstinstanzlichen streitigen Parteivorbringens wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen. Insoweit wird Bezug genommen auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Mainz vom 15.06.2016 (Bl. 91 bis 93 d. A.).

Der Kläger hat beantragt,

  1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 03.02.2016 nicht aufgelöst werden wird,
  2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern zu unveränderten Bedingungen über den 30.09.2016 hinaus fortbesteht.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 15.06.2016 abgewiesen. Zur Darstellung der maßgeblichen Entscheidungsgründe wird auf die Seiten 4 bis 9 dieses Urteils (= Bl. 93 bis 98 d. A.) verwiesen.

Gegen das ihm am 01.07.2016 zugestellte Urteil hat der Kläger am 22.07.2016 Berufung eingelegt und diese am 30.08.2016 begründet.

Der Kläger macht im Wesentlichen geltend, die Kündigung sei - entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts - bereits deshalb unwirksam, weil die Beklagte den Betriebsrat vor Kündigungsausspruch nicht ordnungsgemäß angehört habe. Im Hinblick auf den Inhalt des Anhörungsschreibens habe der Betriebsrat davon ausgehen müssen, dass er - der Kläger - aufgrund seiner Verurteilung über einen Zeitraum von 30 Monaten dem Betrieb nicht zur Verfügung stehe. Die Beklagte hätte dem Betriebsrat mitteilen müssen, dass unter Anrechnung der Untersuchungshaft und bei der zu erwartenden Anwendung der Zwei-Drittel-Regelung nur noch eine zu verbüßende restliche Haftstrafe von 12 Monat...

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