Entscheidungsstichwort (Thema)
Annahmeverzug. Arbeitsunfähigkeit. Arbeitsverweigerung. Betrug. Betrugsversuch. Krankheit. Kündigung, fristlose. Täuschungsabsicht. Fristlose Kündigung. Alternativbegründungen. Arbeitsverweigerung oder Betrugsversuch
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Vorwurf „beharrlicher Arbeitsverweigerung” widerspricht dem Vortrag des Arbeitgebers, dass der Arbeitnehmer im selben Zeitraum überhaupt arbeitsfähig gewesen ist. Stützt der Arbeitgeber eine Kündigung alternativ auf einen „versuchten Betrug”, weil der Arbeitnehmer im selben Zeitraum Annahmeverzugslohn beanspruche, obwohl er krankheitsbedingt tatsächlich nicht mehr habe arbeiten können, so ist der Vortrag insgesamt in sich unschlüssig.
2. Die Geltendmachung von möglicherweise unberechtigten Lohnansprüchen stellt für sich allein noch keinen Betrugsversuch dar.
3. Fühlt sich der Arbeitnehmer subjektiv in der Lage, einen Arbeitsversuch zu unternehmen, kann ihm der Arbeitgeber nicht auf den bloßen Verdacht, er versuche ihn zu betrügen, fristlos kündigen.
4. Eine unwirksame außerordentliche Kündigung kann nicht nach § 140 BGB in eine ordentliche Kündigung umgedeutet werden, wenn insoweit die erforderliche und auf unterschiedlichen Prüfungsmaßstäben beruhende Zustimmung des Integrationsamts fehlt.
Normenkette
BGB §§ 626, 626 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Koblenz (Urteil vom 13.08.2010; Aktenzeichen 2 Ca 314/10) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 13. August 2010, Az.: 2 Ca 314/10, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung der Beklagten vom 19.01.2010.
Der am 07.03.1948 geborene Kläger ist ein schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 50. Er ist seit 1984 im Baubetrieb der Beklagten als Arbeiter/Pflasterer zu einem Bruttomonatslohn von ca. EUR 2.000,00 beschäftigt. Die Beklagte beschäftigt etwa 10 Arbeitnehmer.
Der Kläger war vom 18.12.2007 bis 11.06.2008, vom 28.08.2008 bis 28.09.2008, vom 22.10.2008 bis 07.11.2008, vom 05.01.2009 bis 14.06.2009 und vom 10.08.2009 bis 13.11.2009 arbeitsunfähig krank. Er bezog wegen fortdauernder Arbeitsunfähigkeit Krankengeld, am 13.11.2009 wurde er von der Krankenkasse ausgesteuert. Am 16.11.2009 erschien der Kläger im Betrieb und bot seine Arbeitskraft an. Der Geschäftsführer, der die Arbeitsfähigkeit des Klägers bezweifelte, nahm das Angebot des Klägers nicht an. Die Einzelheiten des Gesprächs sind zwischen den Parteien streitig.
Der Rechtsanwalt des Klägers erhob mit Datum vom 19.11.2009 vor dem Arbeitsgericht Koblenz Kündigungsschutzklage (Az.: 2 Ca 2908/09), die der Beklagten am 27.11.2009 zugestellt worden ist. Am 23.11.2009 füllte der Geschäftsführer der Beklagten dem Kläger auf dessen Antrag eine Arbeitsbescheinigung nach § 312 SGB III aus. Der Kläger bezieht seit dem 24.11.2009 Arbeitslosengeld I. Dies teilte die zuständige Arbeitsagentur der Beklagten mit Überleitungsanzeige vom 26.11.2009 mit.
Am 16.12.2009 schlossen die Parteien in dem Verfahren 2 Ca 2908/09 im Gütetermin vor dem Arbeitsgericht Koblenz einen Vergleich, mit dem Inhalt, dass das Arbeitsverhältnis über den 13.11.2009 hinaus ungekündigt fortbesteht. Mit Schreiben vom gleichen Tag (Bl. 103 d.A.) verlangte der Rechtsanwalt des Klägers von der Beklagten aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs die Erteilung einer Abrechnung zunächst für die Zeit vom 16.11. bis zum 30.11.2009. Der Rechtsanwalt der Beklagten wies Annahmeverzugslohnansprüche mit Schreiben vom 22.12.2009 (Bl. 64-65 d.A.) zurück. Der Rechtsanwalt des Klägers antwortete mit Schreiben vom 30.12.2009 (Bl. 66-67 d.A.) und forderte die Beklagte auf, an den Kläger für November 2009 Lohn in Höhe von EUR 1.290,66 brutto (98 Stunden ab 16.11. × EUR 13,17) sowie für Dezember 2009 (187,5 Stunden × EUR 13,17) Lohn in Höhe von EUR 2.469,38 brutto, mithin insgesamt EUR 3.760,04 brutto zu zahlen.
Daraufhin beantragte die Beklagte mit Schriftsatz vom 05.01.2010 (Bl. 16-18 d.A.) die Zustimmung des Integrationsamtes zur außerordentlichen Kündigung des Klägers. Zur Begründung dieses Antrags führte sie aus, der Kläger habe am 16.11.2009 zwar zunächst seine Arbeitsleistung angeboten, jedoch im Verlauf des Gesprächs erklärt, doch nicht voll arbeitsfähig zu sein, er dürfe lediglich im Umfang von 2 bis 4 Stunden leichte Arbeiten verrichten, am 18.11.2009 habe er einen Termin zur Kernspintomografie, in der Folgewoche solle er operiert werden. Ihr Geschäftsführer habe dem Kläger erklärt, dass er ihn „an diesem Tag” nicht in vermindertem Umfang beschäftigen könne. Der Kläger habe das Büro verlassen und sei erst wieder am 23.11.2009 erschienen, um sich die Arbeitsbescheinigung ausfüllen zu lassen. Seine Arbeitskraft habe er – auch im Anschluss an den Vergleich vor dem Arbeitsgericht – nicht mehr angeboten. Mit Anwaltsschreiben vom 30.12.2009 habe er die Zahlung von Annahmeverzugslohn ab dem 16.11.2009 bis zum 31.12.2009 verlangt. ...