Entscheidungsstichwort (Thema)
Abfindung. Auslegung. Härtefall. Kommission. paritätische. Sozialplan. Weiterbeschäftigung. Sozialplanregelung zur Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung an anderem Standort bei Vorliegen besonderer Betreuungspflichten und nachgewiesener Pflegebedürftigkeit. Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe durch Einigungsstelle und Paritätische Kommission unbegründete Zahlungsklage auf erhöhte Abfindung bei unzureichenden Darlegungen zu Betreuungspflichten und Pflegebedürftigkeit
Leitsatz (redaktionell)
1. Bei der Auslegung des in einen Sozialplan aufgenommenen Begriffs "Pflegebedürftigkeit" ist von der in der allgemeinen Rechtsterminologie geltenden Inhaltsbestimmung auszugehen; Pflegebedürftig sind im Sinne des § 14 SGB XI Personen, die wegen bestimmter Krankheiten oder Behinderungen für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens (Körperpflege, Ernährung, Beweglichkeit) der Hilfe bedürfen.
2. Mit der Bezeichnung "besondere Einzelfallhärte" enthält der Sozialplan einen unbestimmten Rechtsbegriff, der auslegungsbedürftig und anhand der allgemeinen Auslegungsgrundsätze auch auslegungsfähig ist; auch wenn dem Wortlaut nicht direkt entnommen werden kann, was die Einigungsstelle unter einer "besonderen Einzelfallhärte" verstanden hat, kann sich doch aus dem Zweck und der Systematik ergeben, dass die Härtefallregelung gewährleisten soll, dass auch in Ausnahmefällen, die wegen ihrer atypischen Ausgestaltung nicht im Einzelnen vorhersehbar sind und sich deshalb nicht mit den abstrakten Merkmalen des Sozialplans erfassen lassen, ein Ergebnis erzielt wird, dass den ansonsten geregelten Tatbeständen zur Unzumutbarkeit in seiner grundsätzlichen Zielrichtung gleichwertig ist.
3. Die Einigungsstelle ist nicht gehalten, im Sozialplan einen Katalog von Härtefallen festzulegen; dadurch entsteht kein unzulässiger Ermessensspielraum für willkürliche Entscheidungen der Paritätischen Kommission.
4. Da Härtefälle auch bei starren Abgrenzungen nie auszuschließen sind, genügen unbestimmte Rechtsbegriffe dann den rechtstaatlichen Erfordernissen der Normenklarheit, wenn sie mit herkömmlichen juristischen Methoden ausgelegt werden können.
5. Haben Beschäftigte grundsätzlich keinen Abfindungsanspruch, wenn sie eine Weiterbeschäftigung an einem anderen Standort zu ansonsten unveränderten Arbeitsbedingungen abgelehnt haben, entspricht dies der gesetzlichen Leitlinie des § 112 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 Hs. 2 BetrVG; da nach dieser Bestimmung ein Ortswechsel für sich allein noch nicht die Unzumutbarkeit begründen soll, ist die Regelungsbefugnis der Einigungsstelle bei der Aufstellung eines Sozialplans insoweit beschränkt.
6. Sieht der Sozialplan ausdrücklich Unzumutbarkeitsgründe vor und werden diese im Einzelnen aufgezählt, darf die Anwendung der Härteregelung im Einzelfall nicht zu einer Umgehung oder Erweiterung der Systematik der Abfindungstatbestände führen; ein "besonderer Härtefall" muss durch atypische Umstände des Einzelfalls bedingt sein, die erheblich vom "Regelfall" abweichen und deswegen Ausnahmeentscheidungen gerechtfertigt erscheinen lassen, so dass die Umstände des Einzelfalls den jeweils betroffenen Beschäftigten ein deutlich größeres Opfer abverlangen als eine "einfache Härte" und erst recht als die mit einem Arbeitsplatzwechsel stets verbundenen Einschnitte.
7. Die Einigungsstelle darf im Einzelfall die Unzumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung an einem anderen Standort ohne Rücksicht auf familiäre Bindungen oder sonstige soziale Kontakte ausschließlich an das Vorliegen besonderer Betreuungspflichten bei nachgewiesener Pflegebedürftigkeit knüpfen und ist nicht gehalten, auf alle denkbaren persönlichen Umstände, die einem Wechsel des Arbeitsortes entgegenstehen könnten, Rücksicht zu nehmen.
Normenkette
BetrVG §§ 112, 77 Abs. 4, § 112 Abs. 1, 5 S. 2 Nr. 2 Hs. 2; SGB XI § 14
Verfahrensgang
ArbG Koblenz (Entscheidung vom 26.09.2012; Aktenzeichen 4 Ca 761/12) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 26. September 2012, Az.: 4 Ca 761/12, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Höhe einer Sozialplanabfindung.
Der 1965 geborene Kläger ist verheiratet und Vater von zwei Kindern. Er war vom 15.10.1984 bis zum 31.03.2011 bei der Beklagten am Standort HG als gewerblicher Arbeitnehmer zu einem Bruttomonatsverdienst von zuletzt EUR 3.884,20 beschäftigt.
Im Jahr 2010 entschloss sich die Beklagte, den Betrieb von HG (Westerwald) mit etwa 170 Arbeitnehmern bis zum 31.12.2010 in das rund 160 Kilometer entfernte C-Stadt (Odenwald) zu verlagern. Diese Verlagerung wurde planmäßig durchgeführt. Der Kläger weigerte sich, am Standort C-Stadt zu arbeiten. Daraufhin hat die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 28.09.2010 gekündigt und dem Kläger angeboten, ab 01.04.2011 seine Tätigkeit am Standort C-Stadt bei im Übrigen unveränderten Arbeitsbedingungen fortzusetzen. Der ...